Taufrisch, quicklebendig – und weiblich
ERIKA-FRIESER-KAMMERMUSIKTAGE
06/05/24 Immer gut, wenn die rare Spezies Komponistinnen vor den Vorhang geholt wird, bietet das doch die Chance, nach unentdeckten Pretiosen zu schürfen. Die Erika-Frieser-Kammermusiktage der Universität Mozarteum haben, jenseits von Gender-Fragen, etwas anderes deutlich gemacht: Kammermusik, so taufrisch und quicklebendig – wie selten kriegt man die doch im Konzertalltag!
Von Reinhard Kriechbaum
Genau so selten nämlich wie Namen von Komponistinnen auf den Programmzetteln sind Anlässe, für die bunte Grüppchen von Musikerinnen und Musikern zusammenfinden, und auf die hin sie Musik einstudieren weit jenseits dessen, womit man dann „auf Tour“ gehen kann. Produktion statt Reproduktion war also angesagt an den drei Tagen (2. bis 4. Mai) im Solitär, und das ist allemal produktiv für die Musik, die sonst oft genug zermahlen wird in der Mühle der Routine.
„Whow“, hätte man da rufen mögen am Freitag (3.5.), mit welchem Verve Klara Flieder (Violine), Enrico Bronzi (Violoncello) und Biliana Tzinlikova (Klavier) sich über das Trio op. 11 von Fanny Hensel (der Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy) hermachten.
Das ist ein Stück, dem man mit etwas Glück dann und wann begegnen kann. Gewiss aber nicht den Scènes de la forêt von Mel Bonis (1858-1937). Jemals den Namen gehört? Eigentlich hieß die Dame Mélanie Hélène Domange. Scherheitshalber wählte sie als Vornamen das geschlechtsneutrale „Mel“. Bonis war ihr Mädchenname.
Von den gut dreihundert mit „Mel Bonis“ überschriebenen Werken wurden viele im Paris der Jahrhundertwende wohlwollend aufgenommen. Für die Waldszenen wählte sie eine höchst außergewöhnliche Besetzung: Querflöte, Horn und Klavier. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie fintenreich da die divergierenden Klangfarben gemischt werden, wie chansonhafte Melodik und impressionistische Sinnlichkeit wetteifern und ineinander fließen. Michael Martin Kofler, Matias Pineira und Isabell Gabbe haben die vier Genreszenen höchst einprägsam „nachgemalt“.
Stichwort Impressionismus. Da gab es auch am Eröffnungsabend, der Duobesetzungen gewidmet war, einige erhellende Begegnungen. „Poldowski“ war das Pseudonym der Pariserin Irène Régine Wieniawski (1879-1932). Zwei Lieder auf Texte von Verlaine (gesungen von Judith Gallmetzer) weckten den dringenden Wunsch, mehr davon kennen zu lernen. Auch die ganz jung verstorbene Lili Boulanger (1893-1918) komponierte im Stil der Impressionisten. Maeterlinck war da ein gefragter Textlieferant. Ihre ältere Schwester Nadia Boulanger – eine Kompositionsschülerin von Gabriel Fauré – hat leider nur in jungen Jahren komponiert, ist aber dann die Autorität schlechthin als Kompositionslehrerin geworden. Viele später Namhafte (etwa George Gershwin oder Leonard Bernstein) haben bei ihr studiert. Hochkarätig waren am Donnerstagabend (2.5.) die Wiedergaben von je drei Liedern der Schwestern Boulanger durch Juliane Banse (Sopran) und Christoph Strehl (Tenor).
Die Erika-Frieser-Kammermusiktage, die am Samstag (4.5.) mit einem Konzert für Musik in größeren Besetzungen zu Ende gingen, brachten mannigfaltige, anregende Begegnungen. Zeitgenössisches fand sich da ebenso wie Musik in unterschiedlichsten nationalen Idiomen. Beides zusammengeflossen ist beispielsweise in De Idy y Vuelta, einem Stück der Mexikanerin Gabriela Ortiz, dem die ARGE KONSONANZ (Leona Rajakowitsch, Flöte, Malte Höfig, Gitarre) Leben einhauchten. Die Initiatorin dieses kleinen Festivals, die Pianistin Biljana Zinlikowa), animiert nicht nur Lehrer-Kollegen und Kolleginnen, sondern auch ihre Kammermusik-Studenten.