Kirchenmusikalische Schatzgräber
BACHGESELLSCHAFT / MOZART & HAYDN IN MÜLLN
16/08/23 Einmal im Jahr wird die Salzburger Bachgesellschaft ihrem Namenspatron untreu und richtet, statt auf Bach & Co, ihr Augenmerk auf Mozart, den Salzburger Haydn und andere lokale Größen. Heuer galt der Traditionstermin in Mülln zu Maria Himmelfahrt Mozarts Vorbild und Lehrer Georg Reutter, einem der wichtigsten Musiker am Wiener Kaiserhof.
Von Horst Reischenböck
Aus der Tiefe habe ich gerufen...De profundis clamavi von Georg Reutter wurde nicht in „Konzertaufstellung“ vor dem Hochaltar, sondern hinten im Kirchenraum angestimmt. Mit grandiosem Effekt. Das blendend disponierte Collegium Vocale Salzburg überzeugte vom ersten Stück. Die in Es-Dur stehende Vertonung des Psalms 129 (130) geisterte übrigens noch in der dritten Auflage von Wolfgang Amadé Mozarts Werkverzeichnis als KV 93 herum. Wobei der Herausgeber Alfred Einstein schon 1936 anmerkte: „Die Anlage entspricht genau einigen Motetten von Eberlin und Michael Haydn, die sich Mozart im Frühjahr oder Sommer 1773 kopiert hat.“ Abschreiben, nicht um Betrug oder Plagiat, sondern um der Übung willen, war eine gängige Praxis im Kompositionsunterricht. Und Mozart schrieb Werke ab, die ihm persönlich wert und gewichtig waren.
Mit Johann Ernst Eberlins Litaniae Lauretanae D-Dur war danach einweiterer Anknüpfungspunkt im Sinn von „back to the roots“ gefunden: Besonders die Textstelle Salus infirmorum (Heil der Schwachen) mit dem düster einstimmenden Kontrabass-Solo im Gedächtnis haften blieb. Die eher knapp gefasste Anlage dieses Werkes erinnerte an Leopold Mozarts spöttische Aussage über die raschen „Bier-Litanien“, die nicht lang vom Gaststätten-Besuch abgehalten haben. Ein Schelm, wer heute noch solches dächte, obwohl Johannes Perkmann, der Abt des Benediktinerstiftes Michaelbeuern (zu dem die Pfarre Mülln gehört) alle Anwesenden in traditioneller Weise auf eine Halbe ins benachbarte Augustiner Bräu eingeladen hat. Davor harrte der Zuhörer noch eine veritable Entdeckung: Georg Reutters Missa Immaculatae Concepttionis Beate Virginis wurde dreihundert Jahre nach ihrem Entstehen erstmals wieder der Vergessenheit entrissen und prachtvoll zum Klingen gebracht. Festlich bestückt mit den im Salzburger Barockensemble ausgezeichnet intonierenden Clarintrompeten.
Reutter verfügte in Wien über erstklassige Könner auf diesem Instrument und bedachte diese in seinen Kompositionen mit den zahlreichen Spitzentönen. Er ging damit in die Musikgeschichte ein. Überhaupt verfügt seine Messe über interessante Details, wie etwa das Dissonanzen nicht scheuende Posaunenduo, über dem der Tenor Virgil Hartinger das Et incarnatus est gewohnt souverän gestaltete. Georg Reutter war der Sohn des Wiener Dom- und Hoforganisten Georg Reutter. Reutter der Jüngere, geadelt 1740 erreichte eine wichtige Position im Wiener Musikleben. Maria Theresia übergab ihn 1751 die Leitung der gesamten Tafel-, Kammer- und Kirchenmusik, 1769 wurde Reutter erster Hofkapellmeister am Wiener Kaiserhof.
Bekannt blieb Reutter auch, weil er, für die Hofkapelle zuständig, beide Haydn-Brüder als Sängerknaben zu sich holte. Dass er sie nach dem Stimmbruch entließ, wurde ihm nachträglich angekreidet, war aber natürlich so logisch wie üblich. Dass auch Johann Michael – „unser“ Salzburger Haydn – von Reutter profitiert hat, zeigte das Collegium Vocale, doppelchörig wie a capella, unter Michael Schneiders inspirierender Leitung mit der Motette Ave regina coelorum C-Dur MH 140. Mit dem Offertorium de Sanctissimo Sacramento Parasti in conspectus meo mensam und Mozarts Offertorium Maria Alma Dei creatoris KV 272a (277) beschlossen nach anderthalb Stunden die Ausführenden einen beglückenden Abend.