Kontraste in der Hitze
WIENER SAAL / IBRAGIMOVA, TIBERGHIEN
08/06/10 Die junge russische Geigerin Alina Ibragimova kennt man in Salzburg seit den Festspielen 2005. Auch bei der Mozartwoche war sie schon, immer an Gidon Kremers Seite. Nun also spielte sie einen fordernden Beethoven-Sonatenabend im Wiener Saal mit Cédric Tiberghien als Partner am Flügel.
Von Gottfried Franz Kasparek
Ein heißer Sommerabend, endlich! Aber anstrengend, wenn nach einem langen Arbeitstag die klimatischen Verhältnisse im Saal dem Hörer zeitweilig die Konzentration rauben. Lag es daran, dass Alina Ibragimova zunächst nicht so vollkommen überzeugen konnte? Lag es an der neben dem Rezensenten platzierten reiferen Dame aus dem Süden, welche ihre größte Lust darin fand, in Piano-Stellen mit ihrer leise, aber eindringlich klirrenden Halskette zu spielen? Ein wenig herrschte Festungskonzert-Stimmung, denn ein großer Teil des Publikums war touristischer Herkunft. Womit weder gegen Touristen noch gegen Festungs-, Schloss- oder sonstige Konzerte etwas gesagt sein soll.
Starke Impulse kamen jedenfalls vom Pianisten. Cédric Tiberghien ist nicht nur ein aufmerksamer Partner, sondern den Stücken entsprechend ein bewusster Mitgestalter. Schon in der Sonate A-Dur op. 30/1 legte er mit sorgsam pointiertem Ausdruck eine schöne Grundlage für den großen, mitunter ein wenig herben und zu wenig differenzierenden Ton der Geigerin. Insgesamt wesentlich frischer geriet die Es-Dur-Sonate op. 12/3. Auch hier freilich übernahm das Tasteninstrument die führende Rolle, trotz der zweifellos brillanten Technik, über die Ibragimova gebietet.
Nach der Pause - der Abend war, der Dämmerung sei Dank, inzwischen ein wenig kühler geworden - veränderte sich das Gesamtbild. Es war kein Wunder, dass der höflich anerkennende Applaus des ersten Teils sich am Ende merkbar steigerte und zu Bravorufen führte. Sogar die Halskettenbesitzerin lauschte gebannt.
Natürlich, die „Kreutzer-Sonate“ ist ja doch dem temperamentvollen „Mulattico“ Bridgetower in die virtuosen Finger geschrieben, auch wenn Beethoven sich mit ihm nachher zerstritten hat. Und diese A-Dur Sonate hat mehr als ihre spielerischen Vorgängerinnen jene direkt anspringende Vitalität, welche ein Stück zum „Schlager“ werden lässt.
Alina Ibragimova trumpfte nicht nur mit stupender Virtuosität und gestaltender Leidenschaft auf, sondern fand gerade in den lyrischen Passagen der ersten beiden Sätze zu wundersamen Farben voll innerlicher Leuchtkraft. Gemeinsam mit dem mitatmenden Pianisten entstand ein kontrastreiches Panorama der Gefühle. Eine einzige Kraftentladung dann das Presto-Finale; Zugabe gab es keine – nach dieser Klangexplosion war auch keine notwendig.