Hoppla, Zwillinge?
KULTURVEREINIGUNG / BRUSSELS PHILHARMONIC
28/05/10 Ja, da staunt man: Gustav Mahler hat mit seinem Studienkollegen Hans Rott nicht nur das Zimmer geteilt. Die beiden haben wohl auch viel geredet darüber, wie es mit der Symphonik weitergehen könnte.Von Reinhard Kriechbaum
Und da hat dieser schon als 25jähriger verstorbene Hans Rott, 1858-1884, also eine Symphonie geschrieben. Man hörte das Rarissimum am Donnerstag im Kulturvereinigungs-Konzert am Donnerstag (27.5.) im Großen Festspielhaus und ist aus dem Staunen nicht herausgekommen. Da hat ein junger Mann auf Wagner und auf Brahms reagiert und weit, weit voraus gedacht. Als er dieses Scherzo schrieb, das jenem in Mahlers "Erster" so gleicht wie ein Zwilling, war sein Zimmer-Kollege noch gar nicht so weit. Mahler fand nach dem frühen Tod anerkennende Worte für Hans Rott. Aber dessen Symphonie (die Nummer "eins" ist eigentlich unnötig, es ist eh die einzige) hat er doch nicht aufgeführt. Und so musste das Werk über hundert Jahre auf seine Uraufführung (1989 in Cincinnati) warten.
Es gehört augenblicklich ins Repertoire, denn es ist glutvolle, auch süffige und vor allem eben sitilistisch höchst aufschlussreiche Musik. Da wabert es gelegentlich Richtung Wagner. Üppigen Kontrapunkt (im Schlussatz) hätte Brahms nicht besser und Reger nur wenig opulenter gesetzt. Wenn aus Hugo Wolf nicht ein Liederfürst geworden wäre, sondern ein Symphoniker - vielleicht hätte das geklungen wie Rotts Symphonie? Und dann eben die Mahler-Zitate!
Der Solotrompeter ist herausgefordert und insgesamt ist Hans Rotts Symphonie ein Stück, bei dem ein Orchester - in dem Fall Brussels Philharmonic unter Michel Tabachnik - so recht funkeln kann. Der in der Schweiz ausgebildete Dirigent hat auch alles getan, den Klang schlank und durchhörbar zu halten. Ja, diese Tonsprache weist weit nach vorne. Bruckner und Brahms lebten damals ja noch!
Zähne zusammen beißen hieß es zuvor: Erich Wolfgang Korngolds Klavierkonzert für die linke Hand, op. 17: auch etwas, was einem kaum je und im Konzertsaal sowieso nicht unterkommt. Fast bangt man, wenn man die Musikerarmee vor sich sieht um den Solisten: Wie soll es eine Pianistenhand, und sei's die kraftvollste Linke, mit so vielen aufnehmen? Diese Sorge ist aber unbegründet: Der Satz ist fast immer kammermusikalisch. Der - von Herbert Schuch aufmerksamst differenzierte und in der Dynamik wie im klanglichen ausgefeilte - Klang des Soloinstruments ist oft nur gegen Soloinstrumente und kleinere Gruppen geführt. Korngold war auf Farbenmalerei sondergleichen aus. Aufs Instrumentieren hat er sich ja verstanden. Dass Korngold als Macher üppiger Filmmusik verschrien ist, gilt zumindest für dieses Stück überhaupt nicht. Es ist durch und durch sperrig.
Hörte man stückweise draus jeweils Abschnitte von ein paar Minuten Dauer, so wollte man wahrscheinlich augenblicklich das Ganze kennen lernen. Das Ganze freilich wirkt formal ungebändigt, die Musik wirkt nicht entwickelt, sonder gepuzzelt. Melodische Wechselbäder und Klang-Duschen in Kneipp-Anwendung. Damit freundet man sich so leicht nicht an, auch wenn es toll gespielt und lustvoll "ausgemalt" ist.
Und noch ein Rarissimum an diesem Abend: Als Zugabe servierte Herbert Schuch, Mozarteums-Absolvent und "Artist in residence" dieser Kulturvereinigungs-Saison, ein Variationenwerk von Carl Czerny über einen Schubert-Walzer. Ein Konzert mit geradezu unglaublichem News-Wert selbst für erfahrene Ohren.