Keine Spur von Pfeifen-Wollust
DIALOGE / TAG 1
07/05/10 Im Konzertsaal – da kann man eben alles spielen, was der liebe Gott verboten hat. In seinen Häusern zumindest. Ob das auch wirklich sein muss, werden die „Dialoge“ der Stiftung Mozarteum im Verlauf der nächsten Tage zeigen.
Von Reinhard Kriechbaum
Vom Titel „Nachtstücke“ haben sich am darf man Donnerstag (6.5.) einige Leute fehlleiten lassen und sind vorab nach Hause gegangen. Dabei wird das keineswegs die Einschlaf-Schiene im „Dialoge“-Festival. Jedenfalls war es zu gar nicht so später Stunde mehr als aufschlussreich, dem deutschen Bernhard Haas zuzuschauen bei seinem wieselflinkem Hand- und vor allem Fußwerk. Franz Liszt liebte markante Kontrabass-Melodien, und der Pariser Altmeister Jean Guillou hat bei seiner Orgel-Übertragung der Tondichtung „Prometheus“ gerade das „Bein-Quartett“ aus Absätzen und Fußspitzen ordentlich in die Pflicht genommen.
Interessanterweise wurden ausgerechnet bei diesem üppigen Liszt'schen „Prometheus“ die Eigenschaften der neuen Orgel im Großen Saal des Mozarteums sehr klar. Man hat kein „schreiendes Ungetüm“ bauen lassen, das die Zuhörer an die gegenüberliegende Saalwand pustet. Auf dieser Orgel lässt sich sehr schlank registrieren. Die klangliche Wollust wird hier in Zukunft eher nicht beheimatet sein. So jedenfalls der Eindruck vom ersten „Dialoge“-Abend als Ganzes.
Enttäuschen tut das nur jemanden, der mit Orgel zuallererst machtvolles Gebrause verbindet. Das vermeintliche Defizit verwandelt sich schnell in einen Vorzug: György Ligetis „Volumina“, diese von Wolfgang Mitterer mit Ehrfurcht einflößender Virtuosität mit Handflächen, Ellenbogen und quer gestellten Füßen in die Tasten und Pedale gedrückte Cluster-Studie, ward zu einer klangfeinen Kammermusik, luzid in der Wirkung, geschmeidig und eloquent. Da sind Absicht des Komponisten, Vermögen des Interpreten und Klang-Angebote des Instruments aufs Schönste eins geworden.
Das war an dem – sagen wir ruhig: durchwachsenen – Eröffnungsabend sonst durchaus nicht immer der Fall. Dame Gillian Weir: Das ist einer der klingenden Namen im internationalen Orgel-Musikbusiness. Aber eine irgendwelche interpretatorischen Maßstäbe setzende Interpretin ist die Neuseeländerin nicht (oder nicht mehr). Wie sie etwas hölzern durch Händels F-Dur-Orgelkonzert op.4/4 stakste, genügte (vorsichtig ausgedrückt) nur bescheidenen Ansprüchen. Da hätten Ivor Bolton und das Mozarteum Orchester schon etwas mehr rhetorische Herausforderung angeboten. In Francis Poulencs neoklassizistischem „Schlager“, dem Konzert für Orgel, Streichorchester und Pauken, war es genau umgekehrt. Da wirkte Dame Gillian Weir deutlich souveräner als das Orchester, das mit rhythmischer Pünktlichkeit ausreichend beschäftigt schien. Für klangsinnliches Musizieren blieben, so schien es, keine Ressourcen. Und schon gar nicht für einen wirklich erquicklichen Dialog, der aus Ernsthaftigkeit und Banalität (zwischen beidem laviert diese Musik) Funken geschlagen hätte.
Am Beginn gleich eine Uraufführung. „Die bärtige Frau. Sterne im Gesicht“ nannte der Grazer Kompositions-Professor Klaus Lang (geb. 1971) sein Konzert für Orgel und zwei gegenüber am Balkon positionierte Orchestergruppen. Von den Feinheiten des Gegeneinanders, wortreich im Programmheft ausgebreitet, hat man dann live nicht wirklich viel mitbekommen. Der Klang ist eher zu einem dicklichen Brei verschmolzen, die oszillierenden Flächen kippten ineinander, anstatt sich zu Reiben und Spannung zu erzeugen.
Mag sein, dass der Komponist als sein eigener Interpret auf der einen und Ivor Bolton auf der anderen Seite die Registrier-Regie (noch) nicht recht im Griff hatten. Vielleicht kommt aber auch die Idee der Komposition (der „bewegtere“ Orchesterklang steht gegen den „Stufenklang“ der Orgel und eine Überprüfung dieser vorurteilsbehafteten Parameter) nicht recht heraus. Klaus Lang malt in Klängen, Melodie und Rhythmus sind kein Thema. Nach zwanzig Minuten hört man ganz deutlich eine kleine Terz, zuerst eine hinauf und dann wieder eine hinunter. Und dafür ist man unendlich dankbar, denn zu dem Zeitpunkt hat man die Hoffnung auch nur auf die kleinste Melodie schon beinah abgeschrieben.