Haydn-Spass und andere "Surprise"
CD-KRITIK / HAYDN / LONDONER SYMPHONIEN
17/12/10 Das Haydn-Jahr 2009 trägt nach wie vor Früchte. Im August spielten damals im Wiener Konzerthaus Les Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski, dem designierten Leiter der Salzburger Mozartwoche, alle 12 „Londoner“ Sinfonien.Von Horst Reischenböck
Auf Originalinstrumenten ausgeführt, lag bislang nur seit 15 Jahren die damals langsam gewachsene Interpretation des ganzen symphonischen Dutzends durch Frans Brüggen und dem Orchestra of the 18th Century vor: willkürlich und von der Abfolge her eigentlich unlogisch zusammengewürfelt.
Minkowski reiht die Werke korrekt nach ihrer Entstehung. Das heißt, die falsch immer noch mit dem Namen „Mirakel“ betitelte Nr. 96 in D-Dur steht am Beginn. Sie lässt sofort Aufhorchen ob der Ernsthaftigkeit, mit der hier energisch und schwungvoll dem Geist ihres Schöpfers entsprochen wird. Demgegenüber mutet dann das einzige c-Moll-Werk fast zahm an. Es ist eben mitnichten eine Vorwegnahme Beethovens, den Joseph erst anlässlich der Rückkehr vom ersten England-Aufenthalt in Bonn kennenlernen sollte.
Gleichfalls 1791 entstanden noch die Sinfonie in D, Hob. I:93, und jene in G-Dur. Bei der Minkowski den einkomponierten „Haydn-Spaß“, belegt durch den englischen Titel „The Surprise“, à la Gerard Hoffnung fast eine Spur zu sehr strapaziert. Noch bevor der Paukenschlag im Andante erklingt, dürfen nämlich vorerst einmal die Instrumentalisten losbrüllen. Das Publikum quittierte den Gag amüsiert – und das ist auch ein Beleg dafür, dass es sich um perfekte Live-Mitschnitte des ORF handelt. Dem schnellen Menuett werden auch bereits entsprechend Scherzo-hafte Züge vermitteIt. Im Finale der B-Dur-Sinfonie Nr. 98 wiederum, in deren langsamen Satz der gedankliche Abschied von Freund Mozart nachschwingt, ist das einst von Haydn gespielte Solo einem Cembalo anvertraut. Brüggen benutzte einst ein Hammerklavier.
Absoluter Höhepunkt vorerst dann die Es-Dur-Sinfonie Hob. I:99, von Haydn selbst als seine beste angesehen. Genauso ernsthaft auch das B-Dur-Gegenstück Nr. 102, mit dem die letzte CD anhebt, gefolgt vom nicht bloß „Paukenwirbel“, vielmehr geradezu trommelndem Gewitter im Kopfsatz des Nachfolgeopus.
Das alles ist auch spieltechnisch grandios umgesetzt. Ich höre mir jetzt jeden Morgen eine dieser Sinfonien zur Freude an. Sie sollten es auch tun!