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Ein klares Unentschieden

HÖRVERGNÜGEN / PARSIFAL AUS WIEN UND BAYREUTH 

14/03/25 Parsifal-Aufnahmen von den Bayreuther Festspielen und aus der Wiener Staatsoper im Vergleich. Klangzauberischer edler Wettstreit um den reinen Toren im Doppelpack.

Von Andreas Vogl

Die Aufführungsgeschichte von Wagners letztem Bühnenwerk (die Uraufführung war am 26. Juli 1882) ist reich an Facetten: zunächst stand das Werk urheberrechtlich geschützt nur auf dem Grünen Hügel in Bayreuth auf dem Programm. Viele Komponisten, gerade der damaligen jungen Generation wie Debussy und Chausson, pilgerten dorthin und waren begeistert vom neuartigen Klangrausch und der philosophisch-religiösen Substanz der Umsetzung des mittelalterlichen Epos von Wolfram von Eschenbach. Friedrich Nietzsche fragte: „Hat Wagner je etwas besseres gemacht?“ Und der 23-jährige Gustav Mahler war „keines Wortes fähig“ als er aus dem Festspielhaus hinaus trat. 1903 produzierte die MET in New York, gegen den Willen Cosima Wagners, eine Aufführung außerhalb der Wagner-Festspiele und erst 1913 war die erste legitime Inszenierung nach Ablauf der Frist außerhalb Bayreuths zu sehen. Unstreitbar ist der Einfluss des Werkes auf die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Nun aber zu den hier Mitschnitten der Aufführungen von Parsifal. Die Wiener Staatsoper ist sehr erfahren mit dem Stück, zählt es doch zur Haus-Tradition, die handlungsbedingt an den heiligen Gral, das letzte Abendmahl und Kreuzigung Christi angelegte Oper am Gründonnerstag stets im Repertoire zu haben. Im Corona- Jahr 2021 brachte die Staatsoper eine umstrittene Neuinszenierung des russischen Exil-Künstlers Kirill Serebrennikow (wir erinnern uns, die Premiere war zur Weihnachtszeit) heraus. Der akustische Mitschnitt ist bei Sony auf vier CDs auf den Markt gekommen. Es spielen die Wiener Philharmoniker unter Philippe Jordan. Dessen Vater Armin Jordan hat übrigens einst den Soundtrack zur berühmten Parsifal-Verfilmung von Hans-Jürgen Syberberg (Edith Clever als Kundry!) dirigiert. Was sich da in Wien im Orchestergraben abspielt, ist edler Klang par excellence. Mit durchaus gedehnten Tempi schreitet Philippe Jordan durch Zeit und Klangraum der sinnlichen, atmosphärischen Musik Wagners und breitet den Sängern einen breiten Teppich von Süffigkeit, klaren Akzenten und Melos aus. 

Ebenso gut disponiert und hörbar vertraut mit dem Stück spielte das Orchester der Bayreuther Festspiele im Sommer 2023 bei der Neuinszenierung des Multi-Media Artists Jay Scheib. Hier muss man ebenso den Dirigenten Pablo Heras-Casado hervorheben. Er kennt ein unglaublich breitgefächertes Repertoire vom Barock (Monteverdi-Zyklus an der Wiener Staatsoper) bis zur Moderne (Ligetis Le gran Macabre). Sein Parsifal  profitiert durch diese musikhistorische Bandbreite enorm. Er klingt dynamisch, fein und nie schleppend. Hat aber sakralen Charakter, wo nötig. Zum Beispiel in der Auffächerung der Klänge im zweiten Teil des ersten Aktes, während der Gralsenthüllung (wunderbar tönen hier die berühmten Parsifal-Glocken). Im dritten Akt bei Taufe, Salbung und Karfreitagszauber hört man Bach, Mendelssohn, Debussy und das 20. Jahrhundert in Heras-Casados Herangehensweise zugleich.

Seine Sängerbesetzung wird dominiert von Georg Zeppenfelds profund und feinsinnig artikulierendem Gurnemanz, sowie der differenziert, mal sinnlich betörenden, mal, dem Konzept der Rolle der Kundry entsprechend, nur effektvoll keifenden, Elina Garanca. Beide singen auch in dem Mitschnitt der Wiener Staatsoper die jeweiligen Rollen. Garanca feierte dort auch ihr Kundry-Debüt. Ist es der Inszenierung oder einfach nur der zweijährigen Pause mit der Rolle geschuldet, aber die lettische Mezzosopranistin konnte in Bayreuth 2023 der Rolle einfach viel mehr Charakter und warme Stimmfärbung geben als zuvor in Wien. Ein Highlight ist die berührende Herzeleide-Erzählung des zweiten Aktes.

Ihr Partner als „reiner Tor“ Parsifal war in Wien Jonas Kaufmann. Ein erfahrener Interpret in dieser Rolle (das nächste Mal singt er die Partie heuer zu Ostern 2025 bei „seinen“ Erler Festspielen) und mit der baritonalen Dunklung in seinem Tenor geradezu prädestiniert für den dramatisch-sinnlichen zweiten Akt. Großartig intensiv das Amfortas - die Wunde und die salbungsvollen Ausbrüche des dritten Akts. Dahingegen presst der Niederösterreicher Andreas Schager in der Partie in Bayreuth in der Höhe manchmal verwackelt, hat aber in der Grundsubstanz seiner Stimme einen durchaus liedhaften, klaren, zur „Toren“-Rolle gut passenden „weißen“ Ausdruck. Schließlich zählt er zu den führenden Wagner-Tenören der heutigen Zeit. Er sprang damals auch relativ kurzfristig für die Rolle ein, da der ursprünglich vorgesehene Malteser Joseph Calleja den Parsifal krankheitsbedingt absagen musste. Dabei wäre ein Belcanto-Tenor seiner Qualität (u.a. ist er ein großartiger Pollione in Bellinis Norma, welche Wagner oft genug selbst dirigierte) sehr spannend zu hören gewesen. 

Als leidender Amfortas sind in Wien Ludovic Tézier und in Bayreuth Derek Welton zu hören. Hier muss man Téziers edel timbrierter Stimme doch den Vorzug geben. Seine „Erbarmen“-Rufe im ersten Akt sind markerschütternd. Der Australier Welton (Orest in der jüngsten Salzburger Elektra) singt kerniger, bleibt aber gerade den berührenden Monologen im Vergleich mit großen Vorgängern einiges schuldig. Klingsor ist bei Jordan Shanahan (Bayreuth) und Wolfang Koch (Wien) jeweils mit passend dämonischen Baritonstimmen besetzt.

Sowohl den Bayreuther (Eberhard Friedrich) als auch den Wiener (Thomas Lang) Chören muss man für beide Einspielungen größtes Lob aussprechen. Hier wird, selbst auf CD, der Klang zum Raum. Fein abgestuft die Gralsritter, die Stimmen von oben und sphärischen Gesänge in den großen Chorszenen. Auch die Blumenmädchen sind durchwegs verführerisch gecastet. Da erinnere ich mich übrigens an eine konzertante Aufführung des Parsifal bei den Salzburger Festspielen im Jahr 1998 unter Valery Gergiev, bei der eine gewisse Anna Netrebko, lange vor ihrem Durchbruch als Donna Anna, eines der Blumenmädchen sang. Nachdem auf CD sämtliche legendäre Parsifal-Einspielungen (von Knappertsbusch über Boulez bis Thielemann) zur Zeit gestrichen sind, muss man dankbar sein, dass Sony und die Deutsche Grammophon hier zwei durchaus hörenswerte Neuinterpretationen des Stücks auf den Markt gebracht haben. Ein unentschieden im direkten Vergleich. Die beiden Dirigate und die Interpretation der Kundry sind aber ein Reinhören jedenfalls wert!

Parsifal. Bayreuther Festspiele 2023. Chor und Orchester der BF, Heras-Casado. Schager, Garanca, Welton, Zeppenfeld. 4CD EAN 028948658770 – auch als Bluray Video mit der Inszenierung von Jay Scheib erhältlich
Parsifal. Wiener Staatsoper 2021. Wiener Philharmoniker und Chor der WSTO. Jordan
Kaufmann, Garanca, Tézier, Zeppenfeld – 4 CD EAN 194399477427

 

 

 

 

 

 

 

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