Klagen mit Noblesse
CD / FIOCCO / LAMENTATIONES
06/04/23 „Von A bis Z“ sagen wir, wenn etwas besonders gründlich abgehandelt wird. Für viele der biblischen Klagelieder des Jeremia trifft das wortwörtlich zu. Aleph, Beth, Ghimel und so weiter. Jeder Gesang beginnt mit einem Buchstaben, in alphabetischer Folge.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Klagelieder Jeremias werden im katholischen Stundengebet am Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag im frühesten Morgen gesungen. 22 Buchstaben kennt das hebräische Alphabet. Die Buchstaben am Beginn gehören ebenso dazu wie der oft wiederkehrende, mahnende Ruf „Jerusalem, converte ad Dominum“, bekehre dich zum Herrn.
Joseph-Hector Fiocco (1703-1741) hat die Lamentationes Hebdomadae sanctae beispielhaft schlicht und zugleich eindrücklich vertont. Wo eine Sängerin und ein oder zwei Cellisten Barock-Ehrgeiz entwickeln und nach Passions-Repertoire suchen, tauchen diese Stücke immer wieder auf. In Konzerten freilich eher als in der Liturgie, für die man sich heutzutage nicht so viel Zeit lässt.
Aber alle Stücke en bloc, wie auf diesen beiden CDs, das ist schon ein außergewöhnliches Hörerlebnis. Und man bekommt sie hier eben nicht nur von A bis Z, also jene neun Stücke, die von Fioccos Tätigkeit an der Kathedrale in Brüssel überliefert sind. Zwei weitere Stücke, alternative Vertonungen, fanden sich in Antwerpen, wo der Komponist zuvor, in den 1730er Jahren, tätig war.
Zur spezifisch französischen Tradition dieser Klagelieder muss man wissen, dass die Franzosen es nicht so hielten mit dem Aufstehen und Musizieren zur frühen Morgenstunde. Am Königshof schon gar nicht. So hat man die Lamentationes vorgezogen und in der Vesper am jeweiligen Vorabend aufgeführt. Drum begegnen einem diese Vertonungen dort auch unter der Bezeichnung Leçons de Ténèbres. Für den Abend des Mittwochs, des Gründonnerstag und des Karfreitags sah auch Joseph-Hector Fiocco diese Stücke vor.
Egal, ob abendliche oder frühmorgendliche Dunkelheit: Satte zwei Hörstunden in voller Konzentration sind gefragt. Besser vielleicht, man legt Hörpausen ein zwischen den nun elf Stücken. Es ist ja im Stundengebet der katholischen Kirche auch so, dass zwischen den Klageliedern Lesungen, Responsorien, Gebete und dergleichen stehen.
Aber auch das Durch-Hören in einem Zug hat seinen Reiz, denn da wird man besonders gewahr, mit wie viel Zurückhaltung bei gleichzeitigem Sinn für rhetorische Angebote der Komponist ans Werk gegangen ist. Dafür drei Vokalisten ins Rennen zu schicken, war eine gute Idee. Ana Vieira Leite ist gerade die rechte Lyrikerin für die Mittwochs-Dreiergruppe, Ana Qintans trägt die Hauptlast der im Detail emotional ein wenig mehr akzentuierten Gesänge der zweiten und dritten Gruppe. In den Gründonnerstag- und Karfreitags-Lamentationen kommt obendrein je einmal der Bariton Hugo Oliveira zum Einsatz. Die Cellistinnen Diana Vinagre und Rebecca Rosen drängen sich nie in den Vordergrund, solistische Singstimme und das Orgel- und Kontrabass-Continuo sind das eigentlich Wesentliche im liturgischen Verständnis, und das kommt in dieser Interpretation schlüssig heraus. Zurückhaltende Noblesse schadet dieser Musik nicht.
Joseph-Hector Fiocco: Lamentationes Hebdomadae sanctae. Ensemble Bonne Corde (Ltg. Dana Vinagre), Ana Qintans, Ana Vieira Leite (Sopran), Hugo Oliveira (Bariton). Ramée, RAM 2105. 2 CDs