Vom Hexenmeister zum Gottseibeiuns
KULTURVEREINIGUNG / ORCHESTRE NATIONAL DE LILLE / BLOCH
10/11/22 Tschaikowsky und Berlioz. Das Orchestre National de Lille und Nemanja Radulović. Romantik pur. So begannen die Gäste aus Frankreich im Großen Festspielhaus ihre drei Konzerte unter Chefdirigent Alexandre Bloch und ernteten. Stürme der Begeisterung.
Von Horst Reischenböck
Les Trilles du Diable nennt sich eine CD und das gleichnamige Ensemble, mit dem der serbische Geiger Nemanja Radulović in Kleinbesetzung musiziert. Und als Teufelsgeiger, im wahrsten Sinn des Wortes, präsentierte er sich den begeisterten Hörern gleich bei seinem Salzburg-Debüt mit Pjotr Iljitsch Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur op. 35. Souverän getoppt der Auftritt durch ein Missgeschick, von dem noch zu berichten ist.
Zunächst ergab sich Radulović also auf den von den der französischen Gästen behutsam angegangenen Beginn des Tschaikowski-Konzerts, verhalten, introvertiert. In enger Zwiesprache mit Alexandre Bloch, der als Dirigent elastisch wie eine Springfeder sein Orchester auf die solistische Vorgabe reagieren hieß und die Tutti-Einwürfe spannungsgeladen aufheizte. Beeindruckend bis in die Kadenz hinein. Bis es der höchsten Saite von Radulovićs Violine plötzlich an Spannung reichte und riss.
Während die Saite – off Stage – neu aufgezogen wurde, spielte der Solist auf dem Instrument einer zweiten Geigerin den Satz zu Ende, als wäre nichts passiert. Danach kostete er stoischen Blicks und mit einem Lächeln auf den Lippen besondes die Ruhe der Kantilene in der Canzonetta aus. Als er fürs Finale seine eigene Geige wieder in Händen hielt, war der Unterschied an Klangfarben eindeutig nachvollziehbar. Einem Wirbelwind gleich stürmte Radulović durch die ihm im Allegro vivacissimo vorgegeben virtuosen Passagen. Setzte dem mit der Zugabe, dem Pašona Kolo aus seiner Heimat, zu dem Alexandre Bloch rasch aufs Dirigentenpult sprang, noch eins drauf.
Nach der Pause bewies das Orchester aus Frankreichs Norden nahe der Grenze zu Belgien mit der Symphonie fantastique op. 14 von Hector Berlioz, dass und wie es sich dabei im ureigensten Element befand. Ist diese auch nicht die erste Sinfonie mit einem zugrundeliegenden Programm, so ist sie doch ein Unikat in Hinsicht auf die „verkomponierte“ persönliche Befindlichkeit ihres Schöpfers, der dazu die zu seiner Zeit verfügbare Palette an Instrumenten bis an spielbare Grenzen in absolutes Neuland hin auslotete.
Der Kompoinist stellte Anforderungen, denen das Orchestre National de Lille unter seinem Chefdirigenten Alexandre Bloch hingebungsvoll folgte. Von den ersten subtil zart angestimmten Akkorden an, die Bloch bewusst durch Generalpausen verzögerte. Über die Walzertakte hinweg gings in die von Donnergrollen aus ihrer Stimmung vertriebene Hirtenidylle hinein. Den kontrastierenden Marsch zum Schafott samt den bewusst abstoßend hässlichen Einwürfen der Bassposaune entnahm Berlioz passend in Mehrfachverwertung seiner nicht verwirklichten Oper Die Feme-Richter und bot damit der hinter den formidablen Hörnern und Holzbläsern postierten Schlagwerkbatterie Möglichkeit, sich akustisch zu profilieren. Gesteigertes Austoben für sie war danach in der abschließenden stimmungsmäßig aufgeheizten Orgie zum Auftritt des Höllenfürsten angesagt.
Den langanhaltenden Beifallssturm bedankte Gabriel Faurés zauberhaft intime Pavane op. 50.