... unter der Sonne aufgewacht
LEKTÜRE VORAB / CARSTEN / DASS NICHTS VERLOREN IST
23/04/10 Catarina Carsten lebt seit 1964 in Salzburg. Die gebürtige Berlinerin schreibt Lyrik, Prosa, Theaterstücke, Hörspiele und Feuilletons. Sie ist Mitglied im österreichischen P.E.N und Trägerin namhafter Literaturpreise. Im Otto Müller Verlag erschien termingerecht zum 90. Geburtstag von Catarina Carsten ihr siebter Gedichtband „Dass nichts verloren ist. Eine Liebe“. - Hier eine Leseprobe sowie zwei Aquarelle von Hermann Regner, dem „dieses Buch gehört“, wie Catarina Carsten im „Vor-Wort“ schreibt: „Ich habe es für unsere Zweisamkeit über sechs Jahrzehnte geschrieben und für alle, die mit mir trauern.“
VON CATARINA CARSTEN
ALLES
Seit ich Dich liebe,
trifft mich alles ins Herz:
der Amsel Lied
und das grüngoldene Glitzern
auf dem Gefieder der Stare,
des Frühlingswindes
Zärtlichkeit und Gewalt,
der dunkelnde Glanz
des nackten Gezweigs,
der unnennbare Ton
einer Geige
und des Seidelbasts
atemloses Gespräch
unter den schweigenden Bäumen.
GLÜCK'S GENUG
Einen Augen-Blick
geschenkt bekommen
am Morgen,
eine Hand,
wenn es Nacht wird
und kalt,
eine Stimme
im Dunkel,
die Du sagt.
TRAUER
Bei Tag
lebst du kein Leben.
Nachts
brichst du in den Schmerz
wie durch Eis.
TOTENKLAGE
Warum bin ich nicht
in einem griechischen Dorf geboren,
nahe am Meer,
offen für Ein- und Ausfahrt?
Für meinen toten Geliebten
wäre ich auf – und ausgebrochen
von Herd und Haus,
Wahnsinn im Nacken.
Können gellende Schreie
die Toten aufwecken,
die Steine erweichen,
die Erde erbeben lassen?
Abends wäre ich heimgekehrt
auf mein verlassenes Lager,
schmerzlos, lautlos, leer,
zu Tode erschöpft.
