Und dazu eine Flasche Rotwein
LITERATURFEST / SCHUH, BIERBICHLER
04/06/12 Die letzte Abendveranstaltung des 5. Literaturfests Salzburg im Solitär der Universität Mozarteum entführte die Zuhörer und Zuhörerinnen in die Wirklichkeits- und Phantasiewelten der beiden großartigen Autoren Franz Schuh und Josef Bierbichler.
Von Magdalena Stieb
Überzeugend schmetterte Josef Bierbichler bei der letzten Abendveranstaltung des 5. Literaturfests Salzburg (2.6.) die Frage Jochen Jungs ab: Die Verbindung von literarischem, die Zeit überdauerndem Manifest und Sinnlichkeit sei durchaus möglich. Sinnlichkeit sollte in beiden Lesungen eine Rolle spielen – ob sich das Ich in Franz Schuhs Roman „Krückenkaktus“ (Zsolnay 2011) mit dieser Sinnlichkeit und ihren beschwerlichen Folgen in verbittertem Kampf steht, oder Josef Bierbichler diese nicht nur in seinem Roman „Mittelreich“ (Suhrkamp 2011) umfassend Raum greifen lässt: Eine Flasche Rotwein am Tisch des Lesenden strahlt die nötige Überzeugungskraft aus.
„Erinnerungen an die Liebe, die Kunst und den Tod“ lautet der Untertitel des Buches von Franz Schuh, der schon 2008 beim ersten Literaturfest zu Gast war, und umreißt treffend das inhaltliche Programm des „Krückenkaktus“ – eine „erfundene Bezeichnung“, die „eine kleine, wie eine Scheibtruhe schiebbare Kuppel, die viele Löcher hat“ zum schwierigen Transport von Krücken im Krankenhaus bezeichnet. Der Autor schlägt sich mit seiner vom Arzt euphemistisch diagnostizierten Untergröße, die eigentlich seine Überbeleibtheit meint, herum und rechnet mit den Medizinern, Psychologen, seinem Umfeld und nicht zuletzt mit sich selbst ab. Zeugnis dafür, dass diese Gnadenlosigkeit von diesem wohl „geistvollsten Autors Österreichs“ (Jochen Jung) und studierten Philosophen bis an seine metaphysischen und ontologischen Wurzeln betrieben wird, gibt etwa die Feststellung, es bestehe ein überaus konkretes Gegenteil zu der unberührt schönen, den Geist durchdringenden Natur: das Allgemeine Krankenhaus in Wien. In dem reichen philosophischen und literarhistorischen Spektrum, das von Johann Christoph Lichtenberg und Friedrich Schelling bis zu Nietzsche, Schopenhauer und Wittgenstein reicht und das dem Autor die Leitlinien zu ernsthaften Reflexionen über die Welt bietet, muss immer Raum für Abgründe bleiben: Wie ist es auch möglich, dass in der Reclam-Ausgabe Schopenhauers „Die Welt als Wille und Verstellung“ steht? Bei allem moralischen Impetus hört sich Schuh immer noch „selbst höhnisch zu“ – zum Gaudium des Publikums.
Nicht ohne Selbstironie präsentierte nach der Pause auch Josef Bierbichler seinen zweiten Roman, der zehn Jahre nach dem Debut „Verfluchtes Fleisch“ (dtv 2001) letztes Jahr erschienen ist. Auf den Hinweis auf Thomas Manns Bildungsroman „Buddenbrooks“ als Referenzpunkt für Bierbichlers Generationenroman kann der Autor nur bescheiden danken und ein Nacheifern von seiner Seite zurückweisen. Doch war besonders beim Beginn des Romans, der in die Zeit von 1914 gebettet ist, ein Anklang an die Buddenbrook’sche Erzählwelt nicht von der Hand zu weisen. Ungemein gekonnt zeichnet Bierbichler in seinem Zeitroman das jeweilige spezifische Milieu jeder der drei Generationen nach und erzeugt so eine überzeugende Authentizität des Geschehens der beiden Weltkriege. Besticht die erzählerische Unmittelbarkeit des Generationenpanoramas durch den gnadenlosen bis lakonischen Realismus, der jeder Sentimentalität oder jedem stilistischen Kokettieren entbehrt, so birgt der gewaltige Roman Brüche, die sogar kafkaeske Züge tragen können: Wenn sich etwa zwei Figuren – ein „Spezialist“ und ein „Laie“ – am Ende eines Dialogs in (Mai-)Käfer verwandeln, nur um nach einem kurzen Flug im See zu ertrinken.
Bierbichler bewies in seiner schauspielerisch packenden Lesung, dass (verhältnismäßig) dicke Bücher – gegen Kurt Tucholskys Meinung – nicht nur zum gelegentlichen Durchblättern geeignet sind und unbedingt gemeinsam mit Franz Schuhs Texten den Weg ins heimische Bücherregal finden müssen. Mit den Lesungen fanden die Abendveranstaltungen des 5. Literaturfests in Salzburg einen anregenden, unterhaltsamen und gebührenden Abschluss. Als einer der Organisatoren hatte Jochen Jung also nicht zu viel versprochen: Es war großartig.