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Augustinus ist an allem Schuld

LITERATURHAUS / LITERATURFRÜHSTÜCK

17/01/12 Kunst im Mittelalter war eine zwiespältige Angelegenheit: Stand sie im Dienst der christlichen Religion war sie lobenswert, widmete sie sich säkularen Angelegenheiten war sie zu verdammen. Manfred Kern sprach beim Literaturfrühstück über Kunst und Künstler im Mittelalter.

Von Michael Russ

Die zwiespältige Stellung der Kunst gehe, so Kern, auf Augustinus zurück, der in seinen „Confessiones“ von seiner jugendlichen Vorliebe für weltliche Dichtung und weltliches Theater berichtet und diese Leidenschaft im Nachhinein als Sünde und sinnlose Hinwendung zu Vergänglichem geißelt. Daraus habe sich eine christlich-theologische Aggression gegen weltliche Kunst entwickelt, die im Mittelalter starke Blüten getrieben habe.

Manfred Kern sprach beim Literaturfrühstück am Donnerstag (12.1.) im Literaturhaus über die „Entdeckung von Kunst und Künstler in der mittelalterlichen Literatur“ am Beispiel von Gottfried von Straßburgs „Tristan und Isolde“.

Trotz ihrer heiklen Stellung habe es im Hochmittelalter eine Explosion der weltlichen Kunst, speziell der Dichtung geben. „Zwar gibt es noch kein autonomes Kunstkonzept und auch keinen eigenen Begriff ‚Kunst’’. Denn das lateinische ‚ars’ steht für alle Bereiche der Gelehrsamkeit.“ Dennoch wurde nicht nur Kunst produziert, sondern auch – zuerst in der Lyrik – über das Schaffen von Kunst reflektiert, so Kern. Ein Vorreiter: Walter von der Vogelweide.

Aber auch Gottried von Straßburg habe über Kunst und Künstler nachgedacht, ganz besonders in seinem unvollendeten Versepos „Tristan und Isolde“, das um 1205 entstanden ist: „In keinem anderen  mittelalterlichen Versepos aus dem deutschsprachigen Raum spielen Kunst und Bildung eine so große Rolle wie im Tristan. Der Held ist nicht nur eine tapferer, im Zweifelsfall gnadenloser, Kämpfer, sondern auch ein belesener mehrsprachiger Mann, der durch Worte und geschliffene Rede überzeugen kann. Dazu ist Tristan ein virtuoser Musiker, der mit seinem Können die Bewunderung aller auf sich zieht und durch sein Spiel, als noch unbekannter Jüngling von vermeintlich niedrigem Stand, in einem streng hierarchischen System die Freundschaft des Königs erringt.“

Isolde stehe ihm, außer im Kampf, in nichts nach, so Manfred Kern. „Auch sie ist hochgebildet, mehrsprachig und eine Musikerin, die ihre Zuhörer in den Bann ziehen kann. Leider zieht sie auch Tristan in ihren Bann und, obwohl sie mit dem König verheiratet ist, kommt es wie es kommen muss, wenn sich die Schönen dieser Welt treffen.“

Zur Umschreibung der erotischen Szenen bediene sich Gottfried ebenfalls künstlerischer Bilder. Vorgeblich musizieren Tristan und Isolde gemeinsam, aber die dabei verwendeten Körperteile, die Zunge fürs Singen und die Hände für das Zupfen der Saiten können natürlich im Zusammensein eines verliebten Paares auch andere Zwecke erfüllen. Interessant sei, dass Gottfried einen Wechsel der Aktivitäten andeute, der dem damals geltenden christlichen „der Mann ist obenauf“ Sexualvollzug zuwiderlief „und eine Äquivalenz der Geschlechter herstellt, die der sozialen Realität widerspricht“.

Auch Hinweise auf andere Kunstformen, wie Malerei und Bildhauerei, finden Eingang in das Epos. Es lasse sich sogar eine Phänomenologie der Kunst herauslesen: Die Kunst wirkt charakterbildend, sie setzt gesellschaftliche und geschlechtliche Hierarchien außer Kraft, es gibt eine Faszination des Ästhetischen oder eine Kunst des Erotischen... So spannend kann ein Vortrag über ein scheinbar uraltes und doch so zeitloses Stück Weltliteratur sein. Mehr davon!


 

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