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Der Mensch bleibt ein Laie

LITERATURFEST / ELMIGER MÄDLER

30/05/11 Das Schöne am Literaturfest: Es lässt sich immer wieder etwas oder jemand entdecken. Etwa die in Österreich noch fast unbekannte Debütantin Peggy Mädler. Gemeinsam mit Dorothee Elmiger, der Gewinnerin des Rauriser Literaturpreises, las sie am Freitag (27.5.) beim "Literaturfest" im Hotel Stein.

Von Harald Gschwandtner

Ein weitgehend verlassenes Kohlerevier, das geographisch nicht wirklich festzumachen ist. Fördertürme in der Landschaft und versprengte Bewohner, die resigniert haben. Daneben zwei Schwestern, die sich mit einem Gebiet, das keine Zukunft und keine Träume mehr kennt, in dem die Polizei als Ordnungsmacht nur noch sinnlos patrouilliert, nicht abfinden wollen. Das Setting von Dorothee Elmigers „Einladung an die Waghalsigen“ (DuMont) hat Züge des Apokalyptischen, keine Frage.

„Es gibt verschiedene Arten, das Land zu vermessen.“ Lexikon und Landkarte sind die zentralen Orientierungsinstrumente in Elmigers fulminantem Debütroman: Dabei repräsentieren Fritzi und Margarete Stein in ihrem scheinbar jugendlich-trotzigen Habitus die beiden wesentlichen Strategien einer „geistigen Bewältigung der Welt“: Studium und Expedition. Während Fritzi das umliegende Land erkundet und sich dem ersehnten Fluss Buenaventura auf dem Wege der Feldforschung nähern will, liest ihre Schwester anfangs wahllos „Fach- und Sachbücher“: „Ich stapelte die Bücher auf dem Küchentisch. Ich betrieb Recherche. […] Alles Erinnernswerte hielt ich fest, abends erstattete ich Bericht.“

Ist Elmigers „Einladung“ damit eine subtile, eine junge Antwort auf Max Frischs große Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“? Einiges deutet auf diesen schweizerischen Traditionszusammenhang hin. Wie die Schwestern Stein durchforstet dort Herr Geiser scheinbar willkürlich die Wissensbestände seiner Zeit, versucht sich im hohen Alter zuerst durch das Sammeln welt- und menschheitsgeschichtlicher Fragmente, danach durch eine gefährliche Wanderung im Gebirge seiner selbst im Angesicht der persönlichen Endzeiterwartung zu vergewissern. Und muss doch zwischenzeitlich erkennen: „Der Mensch bleibt ein Laie.“

Das Streben der Schwestern gilt einem Wissen, das nicht leicht zugänglich ist, ihre Suche nicht nur dem sagenhaften Fluss mit dem sprechenden Namen, sondern auch Orientierungspunkten und -linien für einen wachen Geist. Bestände und Traditionen des Revolutionären, des Widerständigen werden durchforstet, ohne dass das Buch vordergründig politisch wäre.

Am Ende dieser Archäologien des Wissens steht als Synthese die einigende Utopie eines großen Festes. Soziale wie politische Grenzen verlieren im imaginierten Raum eines großen Miteinanders an Bedeutung. Hier darf auch die große Geste, ein in der zeitgenössischen Literatur so fremder wie wohltuender - philanthropischer Pathos sein: „Komm! ins Offene, Freund!“ heißt in Elmigers bildreich-spielerischer Sprache nun: „Kommt auf euren Fahrrädern gefahren! Kommt auf euren weißen Pferden geritten!“

Die in Dresden geborene Autorin Peggy Mädler stellt in ihrem Debüt „Legende vom Glück des Menschen“ (Galiani Berlin) nur scheinbar kollektiv geteilte Vorstellungen von Glück einander gegenüber. Die Frage danach, „inwiefern sich Glück verallgemeinern lässt“, stehe im Zentrum ihres Romans, so die Autorin selbst.

Die Möglichkeiten einer persönlichen Erfüllung werden durchdekliniert, die angesichts der politischen Rahmenbedingungen in der DDR, die den eigengesetzlich glücklichen Menschen so nicht vorsehen, schwer zu erreichen ist. Wie lassen sich privates und öffentlich verordnetes Glück in einem totalitär regierten Staat zusammendenken? Mädler versteht es, Fragen wie diese mit bewundernswerter Leichtigkeit, ja fast beiläufig, zu behandeln, ohne das Buch als Abrechnung mit ihrer ostdeutschen Heimat, die sie als kommunistische nur noch als Kind erlebte, zu gestalten. Dabei erliegt sie eben nicht der Versuchung, alle unerquicklichen Abwege der Glückssuche, die ihre Protagonisten beschreiten oder besser durchstolpern, ‚dem Staat‘ anzulasten. Vielmehr gesteht sie dem Zufall die ihm gebührende Rolle zu.

„Sehr raffiniert gebaut“ nannte Sigrid Löffler, die durch den Nachmittag führte, Mädlers Text. In dieser gefinkelten Erzählkonstruktion, die eine junge Frau ein einst dem Großvater verliehenes Propagandabüchlein mit dem Titel „Vom Glück des Menschen“ finden lässt, sind all die komplexen Glücksdiskurse der Gegenwart aufgehoben. Dass die Autorin jene Gemeinplätze, die die Unmöglichkeit dauerhaften Glücks in der Moderne predigen, nicht unkritisch übernimmt, sondern sie stattdessen in ihrem Erzählen gekonnt durchspielt und in Figurenrede übersetzt, ist eine der großen Stärken dieses Romans.

Zwei Neuerscheinungen also, die ein junges – staunendes und doch gleichzeitig kritisches – Wahrnehmen von Welt und Gesellschaft propagieren. Und die, bei aller frühen erzähltechnischen Meisterschaft, indes auch etwas Schelmisches und zutiefst Freundliches an sich haben. Ein Nachmittag als Plädoyer für die Gegenwartsliteratur!

Dorothee Elmiger: Einladung an die Waghalsigen. Roman. DuMont Bucherverlag, Berlin 2010. 144 Seiten, 16,95 Euro.
Peggy Mädler: Legende vom Glück des Menschen. Roman. Verlag Galiani Berlin, 2011, 224 Seiten, 17,50 Euro.


 

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