Madonna, Pizzamann und Hühnerstall
LITERATURFEST / LESEPROBE / MÜLLER / ETWAS, DAS MICH GLÜCKLICH MACHT
28/05/15 Sie übernehmen Verantwortung und zünden Hühnerställe an. Sie kriegen keine Luft und heben ab. Sie haben es nicht leicht mit sich selbst und mit dem Glück, das nicht daherkommen will. Also heißt es, das Glück zwingen. Dass auch erzwungenes Glück glücklich machen kann, zeigen die junge Autorin Tessa Müller und ihre schrägen tapferen Typinnen. - Hier eine Leseprobe.
Von Tessa Müller
Die Eltern fanden, ich hätte jetzt lange genug nichts gemacht. Mach was, sagten sie. Was soll ich denn machen? fragte ich. Etwas, das dich glücklich macht, sagten die Eltern. Etwas, das deinen Fähigkeiten entspricht. Etwas, das Zukunft hat. Die Eltern sagten, das könne doch nicht so schwer sein. Du hast doch alle Möglichkeiten, sagten sie. Das ist ja das Problem, sagte ich. Die Eltern verstanden mich nicht.
Ich zog in die Stadt, in die Wohnung meiner Schwester. Die Wohnung stand gerade leer. Die Schwester war in einer anderen Stadt. Sie machte dort Praktikum. Du brauchst eine Luftveränderung, sagte die Schwester am Telefon, dann wird das schon. Ich hoffte, sie hatte Recht. Ich lief durch die Wohnung der Schwester und sah mir alles an. Ich machte Schränke und Schubladen auf, öffnete Schachteln und Dosen. Wenn ich jetzt hier wohne, dachte ich, muss ich mich mit der Wohnung vertraut machen.
Nachdem ich das gemacht hatte, lief ich den Weg zum Supermarkt, den mir die Schwester beschrieben hatte, ich ging zum Bäcker und zur Eisdiele. Als ich wieder zu Hause war, hatte ich Hunger, mir fiel ein, dass ich vergessen hatte einzukaufen. Ich rief den Pizzadienst an und bestellte mir eine Pizza Margherita, einen kleinen Salat und eine Flasche Cola. Während ich auf den Pizzamann wartete, saß ich auf dem Sofa in der Küche und lackierte mir die Zehennägel. Der Nagellack gehörte der Schwester, er hatte auf dem Nachttisch gestanden und war veilchenlila.
Der Pizzamann klingelte. Ich humpelte mit Klopapier zwischen den Zehen zur Tür und drückte auf den Summer. Ich öffnet die Tür und hörte den Pizzamann die Treppe hinauf kommen. Sicher dachte er, die Wohnung der Schwester wäre meine Wohnung und ich wäre Studentin. Ich straffte die Schultern, ich zog den Bauch ein, ich streckte die Brust heraus. Die Gedanken des Pizzamanns fühlten sich gut an.