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Wer auf sich hielt, wollte ein Römer sein

LESEPROBE / MAYRHOFER / DER GOLDENE APFEL

12/11/14 Türkische Prinzen und europäische Kaisersöhne sind miteinander aufgewachsen. Spätere Päpste haben an arabischen Universitäten studiert - und ein paar Perserkönige die griechische Philosophie gerettet. „Ob Bankenwesen, Minnesang oder das Konzept der romantischen Liebe – viele vermeintlich abendländische Ideen sind gemeinsame Entwicklungen von Orient und Okzident.“ Georg Mayrhofer erzählt dies „gemeinsame Geschichte“. – Hier eine Leseprobe.

Von Georg Mayrhofer

Mit Äpfeln hatte man in der Region schon einige Erfahrungen, und nicht immer die besten: der fatale Apfel, der zur Vertreibung aus dem Garten Eden führte, dessen Lage die Völker der Antike im »Frucht-baren Halbmond« annahmen; oder jener goldene Apfel, den die beleidigte Göttin Eris in die Hochzeitsgesellschaft der Thetis und des Peleus warf. Das Kleinod hatte die Aufschrift »der Schönsten« und sollte in der Hand des kleinasiatischen Hirten Paris zum Auslöser des Trojanischen Krieges werden. In den Gärten der Hesperiden wuchsen Äpfel, die ewige Jugend verleihen sollten; und die selbsternannten Herren der Welt, die römischen Imperatoren, hielten einen Reichsapfel, den globus, in Händen. Äpfel galten Arabern, Türken und Christen gleichermaßen als Sinnbild des Begehrenswerten schlechthin und eigneten sich daher gut als universelles Symbol.

Mehmed II., genannt »der Eroberer«, jener Osmane, der schließlich 1453 den überreifen Goldenen Apfel Konstantinopel pflückte, brauchte ein solches Symbol. Seine Vorfahren hatten über 150 Jahre hinweg ein bedeutendes Reich aufgebaut, das sich von den Grenzen Persiens bis weit in den Balkan spannte. Dieses Reich erstreckte sich über ein gewaltiges, äußerst heterogenes Gebiet, besiedelt von verschiedenen Völkern mit sehr unterschiedlichen Traditionen, die vor allem eines gemeinsam hatten: Sie waren ursprünglich Teil des Römischen Reiches gewesen. Der Eroberer verstand sich nun als Nachfolger dieses Römischen Reiches, das immer noch den Nimbus des Ewigen in sich trug, wenn auch seine Reste eher einem verschrumpelten Winteräpfelchen glichen. Mehmed und seine Nachfolger sollten stolz den Titel Kayser-i Rum, also Kaiser von Rom, führen – und mit ihm auch den Anspruch byzantinischer Herrscher, alleinige römische Kaiser zu sein. Der Begriff Byzanz kommt aus der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und diente vor allem der Unterscheidung zwischen dem antiken und dem mittelalterlichen Oströmischen Reich. Die Byzantiner selbst hätten mit dem Begriff wenig anfangen können, sie betrachteten sich als Römer. Der Herrschaftsanspruch der byzantinischen Kaiser war universell und wurde auch niemals aufgegeben. Alles, was jemals römisch gewesen war, verblieb, in ihrem Verständnis, für immer unter der Herrschaft Roms. Dieser Gedanke gefiel den Osmanen und kam ihrem Expansionsdrang entgegen.

Die Strahlkraft des Imperium Romanum hielt noch lange nach dessen Untergang an. »Römisch« zu sein wurde damit gleichgesetzt, legitim zu herrschen. Auch die germanischen Eroberer Italiens und Galliens legitimierten sich mit der römischen Kaiserkrone, und die damit verbundene Würde blieb über Jahrhunderte der höchstmögliche zu erlangende weltliche Status. Selbst als die realen Machtverhältnisse nichts mehr mit dem Besitz der Kaiserwürde zu tun hatten, war die sakrale Bedeutung des Kaiseramtes omnipräsent – noch Jahrhunderte später: Um den bürgerlichen Aufsteiger Napoleon Bonaparte daran zu hindern, sich von den mit ihm verbündeten Kurfürsten zum römisch-deutschen Kaiser wählen zu lassen, löste Franz II. das Alte Reich, das seit Karl dem Großen bestanden hatte, 1806 auf. Napoleon kümmerte das wenig; er krönte sich, ganz cäsarisch, einfach selbst. Danach wurde die Angelegenheit inflationär: Nach dem französischen Kaiser, dem österreichischen Kaiser und später dem deutschen Kaiser gab es sogar einen in Brasilien. Auch die Seldschuken, die ab dem 11. Jahrhundert das erste türkische Großreich etablierten, schmückten sich mit dem Beiwort Rûm, also römisch. Allein die Nähe zu Rom machte aus Ansprüchen legitime Ansprüche. Nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen zogen jedoch die Russen ebenfalls die Kaiserwürde an sich. Als Beschützer der christlichen Orthodoxie versuchten auch sie noch vom Glanz des verblichenen Roms zu profitieren. Wer also auf sich hielt, versuchte Römer zu sein.

Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlages
Georg Mayrhofer: Die Reise zum Goldenen Apfel. Eine gemeinsame Geschichte von Orient und Okzident. Residenz Verlag Salzburg Wien St. Pölten 2014. 224 Seiten, 21,90 Euro – www.residenzverlag.at

Georg Mayrhofer präsentiert „Die Reise zum goldenen Apfel“ am Freitag (14.11.) um 20 Uhr im cinétheatro in Neukirchen am Großvenediger.

Bild: Gundi Mayrhofer (1)

 

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