Ich verschenk mich ans Publikum
LESEPROBE / MICKY KALTENSTEIN / BEGEISTERUNG
20/03/20 „Begeisterung ist ein wilder Motor. Er springt an, ohne über Ressourcen nachzudenken. Liefert Ideen und wischt Bedenken vom Tisch.“ So eröffnet Micky Kaltenstein ihre bei Pustet erschienene Porträtsammlung Begeisterung: Menschen, die gleichsam von innen heraus brennen. Als Leseprobe hier einige Facetten über den in Salzburg wirkenden Schauspieler Georg Clementi.
Von Micky Kaltenstein
Sein erstes Lied war eine Notlösung, sorgte aber für Tränen der Rührung – ab da war vieles klar. Georg Clementi ist Schauspieler, Regisseur und Chansonnier. Er macht seinem Publikum gerne Geschenke und beinahe nur das, was ihm Spaß bereitet.
Ich frage mich ständig, was ich gerne hätte. Wodurch ich mich beschenkt fühlen würde, wenn es jemand auf der Bühne täte. Und das versuche ich zu machen, wenn ich spiele, inszeniere oder singe – nichts anderes. Täte ich das nicht, müsste ich wahrscheinlich joggen gehen, um meine Kraft loszuwerden. Aber diese Kraft ist einfach da, ich muss dafür nichts machen und darf sie verschleudern.
Auftanken geschieht bei mir im Tun. Ich mache nie lange dasselbe – würde ich zwei Jahre hindurch dasselbe Stück spielen, kann ich mir gut vorstellen, dass ich Abstand bräuchte, aber so … Erst spiele ich ein Stück, dann inszeniere ich, dann schreibe ich ein Lied, dann probe ich mit der Band, dann mache ich ein Projekt, dann helfe ich jemandem bei irgendetwas … ich brauche diese Vielfalt.
Ich mache ganz, ganz wenig oder fast nichts von dem, was ich nicht mag. Ich liebe es, einen Song zu schreiben. Ich liebe es, auf die Bühne zu gehen und eine Rolle zu spielen. Ich liebe es zu inszenieren. Dabei bin ich ungeduldig, immer, es ist eine ständige Herausforderung.
Mir bringt es so viel, Musiker zu sein, wenn ich Schauspieler bin. Es bringt mir wahnsinnig viel, Schauspieler zu sein, wenn ich Musiker bin. Und es bringt mir wahnsinnig viel, Schauspieler zu sein, wenn ich Regisseur bin. Beim Straßentheater bin ich der Chef, aber am Landestheater nur ein einfacher Schauspieler. Ich sehe diese unterschiedlichen Aufgaben mit anderen Augen, weil ich sie selbst immer wieder abwechselnd übernehme.
Was bei mir ein Riesenthema ist, ist Unabhängigkeit. Es wäre für mich ein Horror, von einem Intendanten abhängig zu sein. Ich war nur drei oder vier Jahre fest am Theater angestellt, danach habe ich vor allem deshalb gekündigt, weil ich nicht zum Musikmachen gekommen bin. Mit einem Jahresvertrag und sieben Premieren im Jahr kann man ja nicht sagen, zu diesem oder jenem Termin geht es nicht. Ich konnte also nichts anderes planen. Jetzt entscheide ich, wann ich kann und wann nicht. Und ob ich eine Rolle spielen will oder nicht.
Ich mache seit meiner Jugend Musik. Der Musikmarkt ist schwierig – es schreibt und singt ja jeder und viele auch gut. Aber der Markt, der kauft, ist viel kleiner als der, der produziert. Meinen allerersten Schlüsselmoment hatte ich mit 16 Jahren. Ich komme aus einer großen Familie, bin das letzte von sechs Kindern. Weil wir so viele waren, gab es bei uns eine Regel: Wenn man sich etwas Großes wünscht, muss man sich die Hälfte dafür selbst ersparen.
Ich habe mir eine richtig gute Gitarre gewünscht und wusste, wie viel ich gespart hatte. Dann war ich mit meiner Mutter im Gitarrengeschäft und hab’ mir natürlich nur die Gitarren angeschaut, die das Doppelte von dem gekostet haben, was ich hatte. Ich habe also bis auf die letzte Lira alles in eine neue Gitarre investiert. Allerdings hatte ich dann kein Geld mehr, um meine Familie zu beschenken. Darum habe ich mein erstes Lied geschrieben und es zu Weihnachten für meine Familie gesungen. Mein Vater hat geweint und da wusste ich – das kann was!
Das Gefühl von damals unterscheidet sich nicht von dem heutigen. Innerhalb weniger Tage kamen alle Verwandten, ich habe fünfzigmal mein Lied gespielt – und war der Star.
Was das mit einem macht, wenn die anderen wollen, was du tust … Wenn man jemandem etwas schenkt, und der erzählt der ganzen Welt, was du ihm geschenkt hast – das ist ein geiles Gefühl! Es ist wie eine Sucht und wahrscheinlich hat sie damals begonnen. Wenn man weiß, dass man imstande ist, jemandem so ein Geschenk zu machen. Es ist einfach wahnsinnig schön, das zu tun – und es ist jedes Mal eine kleine Enttäuschung, wenn man es nicht schafft.
Micky Kaltenstein: Begeisterung – neun Porträts. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2019, 144 Seiten, 13,99 Euro – www.pustet.at
Mit freundlicher Genehmigung des Verags Anton Pustet