… ohne Übertreibung kann man gar nichts sagen
BUCHBESPRECHUNG / MITTERMAYER / THOMAS BERNHARD. EINE BIOGRAFIE
21/10/15 „Thomas Bernhard. Eine Biografie“ ist – das kann man wenige Wochen nach Erscheinen schon sagen - ein Meilenstein. Ein Standardwerk für „beamtete“ wie für „private“ Leserinnen und Leser, für Bernard-Freaks und Bernhard-Kenner. Vielleicht sogar eins für die letzten Bernhard-Hasser.
Von Heidemarie Klabacher
Da ist die Aufarbeitung der reinen Fakten. Da ist die faszinierend detailreiche Schilderung der inneren und äußeren Lebensumstände des großen Querdenkers. Da ist die klare Sprache Manfred Mittermayers, die – bei aller Wissenschaftlichkeit im Faktischen – zugleich von feinster literarischer Qualität ist.
Den Ansprüchen der Wissenschaftlichkeit trägt Mittermayer virtuos Rechnung. Schier unendlich viele Zitate, Werktitel, Namen von Gesprächspartnern, Freunden und Feinden strömen selbstverständlich mit dem Sprach- und damit auch mit dem Lesefluss. Der Detailreichtum steht keineswegs quer zu diesem breit fließenden Strom. Daten und Fakten sind vielmehr der vielfarbige Kieselgrund über den die große Erzählung eines großen komplexen Lebens strömt.
Mittermayer hat das „Rad“ der Bernhard-Biografie nicht neu erfunden. Besonders bediene sich seine Biografie aus dem „reichhaltigen Angebot von Aussagen, die von ‚Zeitzeugen‘ dieses Lebens im Verlauf der letzten Jahre gemacht wurden“, heißt es im Vorwort. „Auch wenn manche dieser Schilderungen genauso viel (oder noch mehr) über die Sprecherinnen und Sprecher verraten mögen, wie über den Gegenstand ihrer Aussage, entsteht aus ihnen eine polyphone Erzählung, die Bernhards komplexer Persönlichkeit entspricht“, schreibt der Experte.
Nach dem Tode von Thomas Bernhard habe die Forschung ergeben, dass einzelne Behauptungen in dessen Selbstbeschreibungen faktisch unrichtig seien. Solche Richtigstellungen seien, so schreibt Mittermayer, „in dieser biografischen Erzählung berücksichtigt, sollen allerdings nicht im Zentrum stehen“.
Und genau hier ist der Knackpunkt: Manfred Mittermayer stellt auf seinen 452 Seiten nicht die Fakten – ob von ihm selber oder von anderen erarbeitet und gesichert – ins Zentrum, sondern das sich zusehends rundende Bild des Dichters. Mittermayer stellt sich weder vor diese Fakten, noch – und das schon gar nicht - vor seinen „Gegenstand“. Keine falsche Bescheidenheit, kein herausgekehrtes Expertentum, schon gar keine Selbstdarstellung. Über den Autor Manfred Mittermayer weiß man nach Lektüre seines neuesten Buches nur das, was man vorher auch schon gewusst hat: Er ist ein Literaturwissenschaftler von Rang, der auch noch schreiben kann.
An was erinnert dieses Buch nicht alles! Manches hat Österreich einst schier in den Grundfesten erschüttert. Etwa der längst vergessene Skandal um die Rezension - „Der pensionierte Salonsozialist“ - die Thomas Bernhard weiland im profil über ein Kreisky-Buch geschrieben hat. Er werde ihn, wegen der ungehörigen Art, wie er nicht nur den Bundeskanzler, sondern auch das gesamte österreichische Volk in seinem Pamphlet beschimpft habe, in seinem Programm nicht mehr zulassen“, lautete damals die Ankündigung von Wolf in der Maur, dem Intendanten des ersten österreichischen Fernsehens.
Unvergesslich – aber nicht im nachträgerischen, sondern im geradezu kulinarischen Sinn – sind für jeden Adalbert Stifter-Fan natürlich die Bernhard-Schelten gegen den „Kitschmeister“. Stifter sei „ein verkrampft lebender Philister und ein ebenso verkrampft schreibender muffiger Kleinbürger“... Gute Gründe, wieder einmal Thomas Bernhards „Alte Meister“ zu lesen, in denen diese meisterhaften Tiraden stehen. Überhaupt: Bei Lektüre der Bernhard-Biographie von Manfred Mittermayer drängt sich der Griff zum jeweiligen Bernhard-Buch immer auf. Tatsächlich seien ja auch in seine Bio zahlreiche Erkenntnisse aus der Mit-Arbeit an der großen Bernhard-Gesamtausgabe im Suhrkamp-Verlag eingeflossen, schreibt Mittermayer. Die blütenweiße Gesamtausgabe in der Gruppe der Bücher „von Bernhard“ bekommt nun in der anschließenden Gruppe der Bücher „über Bernhard“ ein Jahrhundertbuch zum Nachbarn.
Bleiben wir noch kurz beim Zank: Prekär – quasi bis heute - ist das Verhältnis Thomas Bernhard/Peter Handke, die sich früher einmal gut vertragen haben, dann aber Konkurrenten geworden sind: „Seine Suggestion besteht darin, daß er ganz gut Vorurteile ausnützen und montieren kann“, sagte Peter Handke einmal in einem profi-Interview über Bernhard. Erinnern wir uns alle bei jedem noch so drastischen Ausritt Thomas Bernhards: „Es ist alles übertrieben, aber ohne Übertreibung kann man gar nichts sagen“.