Große Geschichte, kleine Legenden
BUCHBESPRECHUNG / BEFREIT UND BESETZT
05/05/15 Salzburger umringen neugierig am rechten Staatsbrückenkopf den ersten amerikanischen Panzer. Ein Allerweltsmotiv aus den Tagen um den 4./5. Mai 1945? Es lohnt sich, genauer hinzusehen…
Von Reinhard Kriechbaum
Auf diesem und anderen Fotos fallen die vielen weißen Fahnen auf, die aus vielen Fenstern hängen. Manche davon vermutlich an Stöcke gebundene Leintücher. Auf dem eingangs erwähnten Bild aus den National Archives Washington ist aber auch ein weiterer großer weißer Fleck auffällig, genau über dem Rathausbogen. Dort war eine Gedenktafel angebracht, die an die Abstimmung zum Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland erinnerte. Kein Wunder, dass das damalige gloriose Ergebnis den Menschen mehr als peinlich war. Also wurde die Gedenktafel eilends überklebt. Kein Salzburger hatte damals Interesse, die amerikanischen Befreier zu provozieren.
Zum aktuellen Termin – die Begebenheiten liegen genau siebzig Jahre zurück – ist in der Schriftenreihe des Archivs der Stadt Salzburg die Broschüre „Befreit und besetzt“ erschienen. Es ist ein Beiheft zu jener Buch-Publikationsreihe, mit der seit einigen Jahren die lokale und regionale Zeitgeschichte vorbildlich aufgearbeitet wird. Dieses Beiheft über die kampflose Übergabe der Stadt an die 3. US-Infanterie-Division am 4. Mai 1945 ist sogar zweisprachig, deutsch und englisch. Gernod Fuchs ist der Autor, ein ehemaliger Berufsoffizier des Österreichischen Bundesheers. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Wehrgeschichtlichen Museum und zuletzt vor allem auch im NS-Projekt der Stadt Salzburg hat er eine Reihe von Forschungen zur Militär- und Polizeigeschichte und natürlich auch über militärische Aspekte der US-Besetzung durchgeführt.
Vieles, was in den üblichen Sonntagsreden angesprochen und auch sonst zum Thema Befreiung kolportiert wird, ist da – in gebotener Prägnanz und Kürze – präziser gefasst. Das beginnt damit, dass Österreich gar nicht von diesen US-Truppen hätte befreit werden sollen. Die Sache war eigentlich anders ausgemacht, Truppen aus dem Mittelmeerraum waren ursprünglich vorgesehen, von Südwesten gen Österreich zu ziehen. Da die Russen in Berlin und Ostdeutschland aber ganze Arbeit leisteten, hatten die 3. US-Infanterie-Division der Amerikaner quasi überschüssige Kapazitäten und wandte sich in Richtung „Alpenfestung“.
Im Detail gibt es viel zu hinterfragen. War der für die kampflose Übergabe der Stadt später viel gelobte und geehrte Oberst Hans Lepperdinger tatsächlich dieser singuläre „Retter“, oder war er nicht eher einer, der erst zu überzeugen war von der kampflosen Variante? Jedenfalls scheint die Rolle des Schutzpolizei-Chefs Wilhelm Kirchhoff bei bisherigen Geschichts-Betrachtungen eher heruntergespielt worden zu sein. Wäre Salzburg im Falle von Kampfhandlungen wirklich bombardiert, also großflächig zerstört worden? Das dürfte in letzter Konsequenz auch eher eine Legende sein.
Und noch ein Detail: Von Salzburg aus rückte die 3. US-Infanterie-Division rasch in Richtung Obersalzberg vor. Sie waren die ersten dort. Die – falsche – Überlieferung hat ein anderes Bild gezeichnet, ließ die 101. Luftlande-Division, aber auch die französische 2. Panzerdivision des Generals Leclerc angeblich eifern in einem „Wettlauf um den Obersalzberg“. Der zehnteilige Film „Band of Brothers“ von Tom Hanks und Steven Spielberg tat ein Weiteres, um die klare Sicht auf die Dinge zu festigen. Nein, nicht die „Easy-Kompanie“ hat das „Eagle Nest“ erobert, ein Bild im neuen Büchlein zeigt, dass die 3. US-Infanterie-Division dort die US-Flagge gehisst hat. Das war auf den Tag genau vor siebzig Jahren, am 5. Mai 1945.
Viel Bildmaterial und eine anschauliche, bündige Darstellung der Geschehnisse damals. Spannender Lesestoff eigentlich, auch wenn nun allerorten ausreichend geredet und geschrieben wird darüber.