Vom Salzburger Hang zu derb komischen Späßen
BUCHBESPRECHUNG / DIE FELSENREITSCHULE
17/08/12 Heutzutage werden in der Hofstallgasse höchstens B- und C-Promis von Fotographen „gehetzt“. Im 17. Jahrhundert war das noch anders. Da gab es zwar auch schon ein reges Gesellschaftsleben in Salzburg, wegen des Fürsterzbischöflichen Hof sogar ein recht glanzvolles. Gehetzt – und zwar in der Felsenreitschule, wo heute nur noch Bühnenfechten stattfindet, aber bald „Die Soldaten“ aufmarschieren – wurde nur das liebe Vieh.
Von Heidemarie Klabacher
„1698 bot sich vor den 96 Zuschauerlogen eine besonders chaotisch anmutende Tierhatz: Wildschweine, Bären, Hirsche, Gämsen, Ochsen, Dachse, Füchse, Hasen und ein Esel mit aufgebundenem Pickelhering wurden von Hunden gehetzt. Die Tierhatzen – 1748 auch mit Stier und Hund – gehörten zum ‚echt Salzburger Hang zu derb komischen Späßen und Possen’ meist anlässlich hoher Besuche.“
Heute schweben höchstens einzelne Sopranistinnen durch die Arkaden oder Trompeter schmettern von dort herunter auf das p.t. Publikum, das selber in den Arkadengängen längst nichts mehr verloren hat. Die 96 markanten Bogennischen im Fels – die schon immer gerne von den Regisseuren zugemüllt wurden, wie ein Beweisfoto aus 1926 zeigt – sollen auf Fischer von Erlach zurückgehen. Hans Sedlmayr, Kunsthistoriker und Fischer von Erlach-Experte, habe es als unverzeihlich empfunden, „dass dieses auf der ganzen Welt einzigartige offene ‚Theatrum Equestre’ als permanente Kulisse in ein konventionelles Theater eingebaut wurde“.
Theatrum Equestre! Das muss man sich merken. Schon auf den ersten Seiten des kleinen reich bebilderten Büchleins „Die Felsenreitschule. Eine Festspielbühne im Wandel“ erfährt man Spannendes und Reizvolles. Die „Frühzeit“ wird zügig abgehandelt, akribisch aufgeschlüsselt wird die Bau- und Umbaugeschichte ab 1920 im entstehenden „Festspielbezirk“. Schon damals hat es Leute mit Geschmack gegeben: Josef August Lux, Architekturkritiker, Autor und Pressesprecher für den Festspielhausbau von 1918 bis 1920, „bemängelte die fehlende Festlichkeit im Inneren und verglich die Außenerscheinung mit einem Lichtspielhaus“. Das Problem mit den prasselnden Regentropfen gab es schon damals, um Genehmigungen gestritten wurde schon immer… All das ist knapp beschrieben und kurzweilig zu lesen. Besonders reizvoll sind die vielen historischen Aufnahmen.
Ein eigenes Kapitel in dem Büchlein vom Format 22?x?13.5 Zentimetern gilt dem jüngsten Umbau der Felsenreitschule durch das Architektenteam Halle 1. Dieser Text klingt stellenweise schon sehr nach Imagebroschüre. Von den seltsamen Kerzen unter der Saaldecke ist als „Stimmungsträgern“ die Rede. Warum nicht. Bis jetzt sind einem gerade dazu höchstens „Sargträger“ eingefallen, Pompfuneberer, die mit diesen Elektrokerzen den Seelen der verstorbenen Helden und Tenöre heimleuchten wollten…
Einiges Pathos prägt das dritte Kapitel über die Aufführungen in der Felsenreitschule bis heute: „Das Ineins von schroffer Natur und barocker Formgebung provozierte Inszenatoren stets neu, am Ursprung Maß zu nehmen, ästhetisch Neues zu erproben. Und das Publikum blieb dem Raum trotz klimatischen und akustischen Unbills treu, weil es hier das Einzigartige, anderswo nicht zu Habende erwarten konnte.“
Der Überblick ist dennoch interessant und weckt die ohnehin nie ganz verblassten Erinnerungen an wahre Festspielereignisse wie Olivier Messiaens Oper Saint-François d’Assise. Die Bilderstrecke ist äußerst reizvoll. Nützlich zum Nachschlagen ist die genaue, vom Mitarbeiterinnen des Festspielarchivs erstellte Produktionsliste am Schluss.