Dauergelaber über die Krise
BUCHBESPRECHUNG / RÖGGLA / DIE ALARMBEREITEN
01/06/12 Wir sind Krise. Katastrophismus ist in. Was passiert, wenn das Leben und die Sprache über Leben zum permanenten worst-case-Szenario werden? Apokalyptiker argumentieren für, Pragmatiker gegen die Krise. Alarmismus wird zum Codewort für die Medienberichterstattung.
Von David C. Pernkopf
Kathrin Röggla macht in ihrem 2010 erschienen Erzählband die Inszenierung des allgegenwärtigen und allmächtigen Krisengeredes der Medien, der Experten, der Finanzhaie, der Eltern, Lehrer und der Nachbarn zum Textmotor. Als Sprachfläche agieren diese Krisenredner, diese scheinbaren Helden eines mentalen Katastrophismus, um der Autorin Gelegenheit zum Sprachexzess zu liefern.
Gibt es eine Sprache der Krise? Mit den Monologen der "Alarmbereiten" versucht Röggla der Sprache der Krise auf die Schliche zu kommen. Der Befund: Krise ist, weil sie die Sprache dazu macht.
Es sind sieben Panikszenen, die die Magie aber auch die Lächerlichkeit einer Sprache zeigen, die sich ständig als "Krise" neu inszeniert: Inhaltlich stehen sieben „Vertreter“ eben dieser Krise mit ihrem Dauergelaber dem Sprachspiel Pate. Da ist der Banker, der sich mit selbstgerechten aber heil- und hilflosen Pragmatismus über die Finanzkrise retten will. Das sind die Lehrerin, die Journalistin und der NGO-Mitarbeiter, die in ihrem Sprachgebrauch alle eine Mode der Krise entwickeln…
Eine einzige Sprechsituation schert aus diesem Gefüge aus - im Rahmen einer „wilden Jagd“ nach einem Entführungsopfer. Diese an die Kampusch-Affäre angelehnte Sequenz zeigt, wozu die Sprache imstande ist: Sprache entscheidet, wer Opfer und wer Täter ist.
„aber deswegen werde er noch lange nicht sagen, die welt gehe unter, die das gewisse menschen hier machten, er wisse, die wollen ihn mit im boot haben, in diesem ihrem weltuntergangsboot, aber das mache er nicht, da steige er nicht ein.“ Rögglas Text kommt als Konjunktivmonster daher, das beinahe durchgehend die Figuren in der dritten Person über sich selbst reden lässt. Dadurch entfremden sich die Figuren von ihrer eigenen Rede und sich selbst immer mehr. Dieser Entfremdungseffekt zeigt die Distanz zwischen dem Menschen und seiner Sprache auf besonders eindringliche Weise.
Mitunter ermüdet den Leser das konjunktivische Dauerfeuer der Scheindialoge und man sehnt sich nach ein bisschen Geschichte. Aber dazu ist der Text nicht da - um eine schöne Geschichte zu erzählen. Rögglas entwickelt ein prosaisches Vokabular der Krise. Röggla hat es auf das "Fachvokabular" der Krise und ihrer Experten abgesehen: „na, katastrophenhilfe, humanitäre einsätze, krisenintervention! Das seien doch die drei großen überschriften gewesen, mit denen auch wir letztlich angetreten seien.“ Es ist eine Poesie, die auf penetrante Inszenierung der Sprechweisen und Sprachflächen der Krise aus ist.
Es geht nicht mehr um Figuren oder Geschichten, sondern um die Aufdringlichkeit und Penetranz des Krisengeredes. Schnell wird deutlich wie sich Stereotypen, Panik und Ignoranz zum Vehikel eines unaufhaltsamen Krisendiskurse entwickeln: Es ist eine dramatische Poesie, die sich als Sprechtheater ebenso eignet, wie als soziolinguistischer Befund einer Krisengeneration. Es ist aber vor allem eine Poetik des permanenten Dauerredens, die ein hehres Ziel hat: Sprache in der Krise zu entlarven.
Dass Rögglas Text auch politisch gedeutet werden muss, liegt auf der Hand. Die Kritik wendet sich aber nicht nur an die Institutionen der Krise, wie Medien, Finanzwelt oder Politik. Sie wendet sich explizit gegen den homo apocalypticus und eine krisengeile Kultur. Wie Röggla den Umgang mit der permanenten Krise empfindet oder deutet, verrät sie nicht. Das ist aber eigentlich auch nicht ihr Geschäft.