Er und seine Mischpoche
BUCHBESPRECHUNG / FEINGOLD / WER EINMAL GESTORBEN IST, DEM TUT NICHTS MEHR WEH
24/05/12 In kurzen farbigen Porträts der wichtigsten Familienangehörigen beginnt Marko Feingold seine Biographie. Der Großvater wurde noch nach jüdischem Ritus beerdigt. Bei der nächsten Generation heißt es dann schon in Varianten des Grauens „… sind dann vermutlich im Warschauer Getto umgekommen“.
Von Heidemarie Klabacher
„Anlässlich des 99. Geburtstages und des Beginns des 100. Lebensjahres von Marko M. Feingold“, dem Leiter der Israelitischen Kultusgemeinde der Stadt Salzburg, hat der Otto Müller Verlag die Biographie „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Eine Überlebensgeschichte“ wieder aufgelegt.
Schräge Familiengeschichten, mit trockenem Humor erzählt, stehen am Anfang. Etwa die bizarre Schnurre mit dem auf einem Ausflug urplötzlich verstorbenen Onkel, dessen Leichnam der junge Feingold dann auf dem Liegesitz seines ersten modernen Autos heimchauffiert hat. Dass auch dieser Onkel und seine Frau Clara, Feingolds Tante väterlicherseits war das, eine Odyssee von der kleinen Wiener Mohrengasse über Kuba, New York nach Long Beach hinter sich hatten – das erzählt Marco Feingold in drei kurze Sätzen.
Oder die mit dem Tod (anscheinend ein Leitmotiv) Großvaters mütterlicherseits: „Angeblich ist er vergiftet worden, denn da ab es so eine Geschichte: Eine Katze hätte das aufgeschleckt, was er erbrochen hatte, uns sei auch verendet. Eine makabre Geschichte, aber so erzählte man sich.“
Oder die heiteren Geschichten – gerne mit Knoblauch - aus dem rituell geführten Haushalt der Mutter! Was man quasi nebenbei über koschere Haushaltsführung erfährt, ersetzt vielleicht nicht aber ergänzt so manche Sozialgeschichte. Und die Rezepte. Allein die Borschtsch-Variationen. Sofort möchte man anfangen zu experimentieren. Kartoffelbrot – „Bulbenik“ - zu Rosbraten!
Da und dort erinnert Feingolds Erzählweise ein wenig an Vladimir Vertliebs fiktive Biographie der Rosa Masur. Der Vater war beim Eisenbahnbau, wurde Vorarbeiter, Bauassistent und leitete dann seinen eigenen Arbeitstrupp. Ganze Familien lebten im Sommer, wenn gebaut werden konnte, in Baracken am jeweiligen Bauabschnitt. „Und auch in unserer Familie sind jene Kinder, die im Sommer zur Welt kamen, an der Arbeitsstätte des Vaters geboren, und die anderen in Wien.“ So erklärt sich auch der Geburtsort des Autors: Neusohl in der heutigenSlowakei, „damals Beszterczebánya, Ungarn“. Schon drei Wochen nach seiner Geburt bekam der Vater eine Baustelle in Fiume/Rijeka…. Einen langen Textabschnitt widmet Feingold dem Leben des Vaters. Auch die Nachkriegskindheit in Wien ist ebenso lakonisch wie anschaulich geschildert.
Wieder so eine Geschichte: Sein ältester Bruder Fritz Frimmel, bzw. Nathan Feingold, war Buchprüfer bei einer Firma, die viele Klienten in Langenlois hatte – dort wo schon in der „Verbotszeit“ die vielen noch illegalen Obernazis waren: Einmal wurde „halb Langenlois ausgehoben – auch mein Bruder“, schreibt Feingold. „Der Nachweis, daß er Jude war, nützte ihm gar nichts. Er hat drei Monate ausgefasst, die er in Krems absitzen musste.“ 1939 bekam Marko Feingold noch einmal „Nachricht von Fritz. Später hörte ich nichts mehr von Ihm. Er hat nicht überlebt.“
Die NS-Zeit taucht irgendwie immer beinahe en passent auf, etwa im Kapitel über die verzogene Schwester, das jüngst der insgesamt vier Geschwister: „Noch in Buchenwald bekam ich von meiner Schwester alle paar Monate eine Postkarte.“
Ebenso spannend wie das Kapitel über den Haushalt, ist das Kapitel über „Religion, Tradition, Glaube“. Mehr von der schrägen Seite ist dann wieder das Prater-Kapitel: „Wir Buben schauten zu, wie die Leute tanzten. Aber meist musste man nur eine halbe Stunde warten, bis zur rauften oder einer das Messer zog.“ Irgendwann zeichnet sich Marko Feingolds Lebensinteresse deutlich heraus: „Mode“. Tatsächlich war schon der Bub Feingold der einzige, der des Vaters Hosen bügeln, seine Schuhe putzen durfte. Rauhlederschuhe an den Füßen Eduard des Achten haben ihn fasziniert. Von der Mutter lernte er das Stopfen. Dann ging es als Vertreter nach Italien – und irgendwann wird das Grauen im Untergrund immer präsenter: „Es war helllichter Tag, als wir in Auschwitz ankamen.“ Das erste Quartier Marko Feingolds in Salzburg war ein Mönchsbergstollen.