„Wo ein Wille da ein Végh“
BUCHBESPRECHUNG / CAMERATA SALZBURG
02/05/12 Vielleicht hätte sich ein Buch über die Camerata Salzburg ja einen etwas gediegeneren Titel verdient als „In Search of Excellence“. Andrerseits: Es ist ja wirklich nicht verwerflich, immer aufs Neue nach Vortrefflichkeit zu streben.
Von Reinhard Kriechbaum
Irgendwie ist genau das der Camerata stets gelungen, über die Zeitläufte von unterdessen sechzig Jahren hinweg: jeweils das Bestmögliche aus der jeweiligen Menschen-Konstellation und dem interpretatorischen „Zeitgeist“ zu machen. Der war natürlich ein gravierend anderer, als Bernhard Paumgartner das Ensemble als „Camerata academica“ begründete. Wie Gerhard Wimberger, einer der Beobachter der „ersten Stunde“ und der darauffolgenden Jahrzehnte, sehr pointiert beschreibt, hätte sich Paumgartner sprichwörtlich im Grab umgedreht, wenn er hätte hören müssen, wie der nachmalige Camerata-Chefdirigent Sir Roger Norrington ausgerechnet zum Gedenken an den Orchestergründer fest-konzertieren ließ (siehe Leseprobe). Aber das kann man, aus anderer Generation und mit anderen Hörerwartungen, genau von der Gegenseite her diametral anders beurteilen.
Unsereiner, als Schreibender über Musik, geht vielleicht etwas vorschnell mit dem praktischen Terminus „Camerata-Geist“ um. Der hat sich im Lauf von sechzig Jahren logischerweise stark gewandelt, und so war es nur gut und richtig, für dieses Buch Leute über die jeweiligen Orchester-Episoden zur Feder zu bitten, die hautnah dabei waren. Über die „Frühzeit“ also Gerhard Wimberger; dann Karl Harb über die so fruchtbaren Jahre unter Sándor Végh. Dessen 100. Geburtstag jährt sich heuer, und dessen „Geist“ ist es ja auch, der bis heute doch weiterwirkt, obwohl nur einige wenige der heutigen Orchestermitglieder wirklich noch von Sándor Végh geformt worden sind. Weitere Autoren sind Hannes Eichmann (über die Jahre unter Roger Norrington) und Hans Langwallner. Er hat sich umgehört, wie die Sache so unter Leonidas Kavakos (letztlich falsch) gelaufen ist und was sich die Musiker nun von der Zukunft ganz allgemein und von Louis Langrée als neuem Leiter konkret erwarten.
Im Zentrum freilich: Sándor Végh. In einem so reich archiv-bebilderten Buch wie diesem auch optisch im Mittelpunkt, denn der alte Herr war auch als Foto-Objekt ein Charismatiker.
An Sándor Végh hat jeder auch nur einigermaßen aufmerksame Salzburger Musikfreund der achtziger und neunziger Jahre seine eigenen Erinnerungen. Daher sei nun nicht aus dem Buch zitiert, sondern selbst erinnert. In einem Interview mit dem Schreiber dieser Zeilen beschrieb Sándor Végh einmal so schlicht wie anschaulich das Suggestive, das einen Dirigenten letztlich ausmacht: Wenn Bruno Walter aufs Podium gekommen sei, um Mozarts Symphonie KV 440 zu dirigieren, „dann war sein Gesicht schon in g-Moll“. Da fallen einem Véghs beschwörende Handbewegungen ein, mit der er gerade die ersten Melodien der Großen g-Moll-Symphonie herbei winkte, gerade in der richtigen „Temperatur“.
Ich wohnte schon damals in Liefering, gleich um die Ecke beim Hartlwirt, wo die Camerata viele Jahre lang in einem alten Scheunengebäude probte. Meister Végh hatte es dorthin auch nur ein paar Schritte, vom Franzosenhügel herunter. Da war also die Versuchung groß, öfters mal von Fahrrad zu steigen, zu lauschen – und zum leidenschaftlichen "Camerata-Schwarzhörer" zu werden.
Ja, Sándor Végh konnte unerbittlich sein und hat eine Passage auch fünfzehn Mal hintereinander spielen lassen, bis sie seinen Vorstellungen voll und ganz entsprach. Wie schrieb der Musikkritiker Peter Cossé einst als Titel über eine Besprechung? „Wo ein Wille, da ein Végh“.