Überlebenskünstler aus Russland
BUCHBESPRECHUNG / DAS RUSSISCHE SALZBURG
15/02/22 Gerade sind die Salzburger Pallottiner und ihr Johannes-Schlössl in den Blick der Öffentlichkeit gerückt. Das Ordenshaus soll verkauft werden. In einem vom Stadtarchiv herausgegebenen Buch über das „russische Salzburg“ erfährt man etwas mehr über das eigenartige Bauwerk in der Grün-Oase auf dem Mönchsberg.
Von Reinhard Kriechbaum
Ganz alten Salzburgern ist das Johannes-Schlössl noch unter dem Namen Paschkoff-Schlössl geläufig. Hier residierten ab 1892 Wassili Paschkoff (1831 bis 1902) und seine Nachfahren. Dieser „Fürst“ Wassili – in Wahrheit Bergwerksbesitzer im Ural – war ein bunter Vogel. Er symapthisierte mit evangelikalen Bewegungen, bis es in seiner Heimat der Orthodoxen Kirche und dem Zaren zu bunt wurde. Man schickte ihn ins Exil. Seine Bleibe auf dem Salzburger Mönchsberg entwickelte sich zu einem Treffpunkt der russischen Auslands-Schickeria. Auch hier verfolgte Wassili Paschkoff seine kruden religiösen Ideen, womit er sich auch in Salzburg Schwierigkeiten einhandelte. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in einem von Pferden gezogenen Wohnwagen, mit dem er auf Mission ging. Die Pallottiner verweisen gerne auf das Schlössl als spirituellen Ort. Den Religions-Geist des „Missionars“ Wassili Paschkoff lassen sie dabei aus gutem Grund unter den Tisch fallen.
Es ist anregend, in der Broschüre Das russische Salzburg in ausgewählten Porträts zu blättern, mit Menschenbildern aus den vergangenen 150 Jahren. Manche waren nur eine gewisse Zeitspanne da, andere leben immer noch hier. Etwa der Sänger Boris Rubaschkin. Der ist ja eigentlich in Bulgarien zur Welt gekommen, aber in seines Vaters Adern floß echtes Kosakenblut. Das pulsiert auch in Boris Rubaschkin, dem einst sauer aufgestoßen ist, dass zwar die Österreicher den Walzer, die Argentinier den Tango, die Polen die Mazurka als Nationaltänze haben. Aber die Russen? Boris Rubaschkin, vor seiner Sängerkarriere als Tänzer tätig, komponierte den Casatchok und entwarf Schrittfolgen dazu. Rubaschkin bezeichnet sich seither als „Erfinder“ dieses vermeintlichen Nationaltanzes. Sechs Goldene Schallplatten hat er damit eingeheimst. Damit hat er dem „Tanz der als Kosaken bezeichneten ukrainisch/russischen Wehrbauern im Osten der heutigen Ukraine“ (so die Wikipedia-Definition) zumindest zu Popularität verholfen.
Was die Salzburg-Russinnen und Russen, die in dem Buch porträtiert werden, eint: Sie waren und sind Überlebenskünstler. Sie wussten etwas zu machen aus ihrer anfangs meist eher misslichen Emigranten-Situation. Nicht alle sind ja so „nobel“ eingestiegen wie Rosa Kerschbaumer (eigentlich: Raissa Schlykowa), die es als Augen-Spezialistin 1890 zur ersten praktizierenden Augenärztin in Salzburg brachte. An sie erinnert ein Straßenname.
Nadja Puschej ist vor acht Jahren hochbetagt gestorben. Sie hat sich als Tänzerin einen Namen gemacht und führte ab dem Jahr 1950 in der Essergasse (Nonntal/Morzg) eine private Tanzschule. Das bis heute bestehende Russische (Studenten-)Theater geht auf die 2003 verstorbene Tatjana Martys zurück. Über den Namen Alja Rachmanowa stolpert man nicht nur, wenn man hinter Roman-Bestsellern der 1930er Jahre her ist. Sie und ihre Familie haben sich in der Nazi-Zeit nicht durch Distanziertheit ausgezeichnet.
Höchst engagiert auch noch im Alter ist die 1947 geborene Natalja Malachowskaja. Sie ist nach Salzburg gekommen, weil sie sich mit ihrem vehementen Einsatz für Bürgerrechte und Feminismus 1980 die Ausweisung aus der damaligen Sowjetunion eingehandelt hat.