Was soll man tun, so ist es eben
BUCHBESPRECHUNG / SCHWERTSIK
23/06/20 In geistiger Frische und körperlicher Rüstigkeit feiert Kurt Schwertsik am 25. Juni seinen 85. Geburtstag. Der bedeutende österreichische Komponist schildert in seinem Buch Was und wie lernt man? mit feiner Feder seine Jugend und seine Lehrjahre. Das erhellende und ergötzliche Kompendium ist soeben im Lafite Verlag erschienen.
Von Gottfried Franz Kasparek
Kurt Schwertsik, echter Wiener mit böhmischen Wurzeln und Viertel-Engländer, hat keine Autobiographie geschrieben – oder nur den ersten Teil einer solchen. Die gut zweihundert Seiten sind reich bebildert, graphisch ansprechend und übersichtlich gestaltet, versehen mit Faksimiles und gut lesbaren handschriftlichen Werkbesprechungen. In letzteren geht es nicht um Musikanalysen, sondern um wundersam geist- und witzvolle Hörhilfen. Zum ersten Satz der Sinfonia-Sinfonietta heißt es etwa: „Wie ein Sturmwind saust und braust der 1. Satz durch den Mischwald, der Frost hat ihn in Reif getrieben.“ Oder zur Instant Music: „Kasperlmusik ist sehr schwer zu definieren“. Und mitunter dichtet Schwertsik auch und stellt dazu fest: „Was soll man tun, so ist es eben.“
Der kleine Mann mit dem großen Herzen hat es faustdick hinter den Ohren, ist ein kritisch beobachtender Zeitgenosse und hat, dies vor allem, die Tonalität quasi für sich selbst so originell neu erfunden, dass sie keinen Takt lang altmodisch wirkt. Dabei hat er nach Studien bei österreichischen Kapazitäten wie Joseph Marx und Karl Schiske, deren Persönlichkeiten er in knappen Zügen treffsicher und liebevoll nachzeichnet, jahrelang um die und mit der Darmstädter Avantgarde gerungen. War bei den Ferienkursen in den 50er-Jahren, hat mit Helmut Lachenmann ein Zimmer geteilt, war fasziniert von Boulez, Stockhausen und Nono, aber ebenso vom Außenseiter Henze.
Schon damals zweifelte er an der reinen Lehre des Serialismus, ohne diese zu verdammen – sein Weg musste eben ein anderer sein. In seinen Rückblicken entstehen luzide Bilder von Zeit und Kunst, erfrischend lebensvoll, harte Urteile und Verurteilungen aussparend, jedoch Sackgassen nicht verschweigend. Zu besonderen Erlebnissen wurden für den jungen Mann die Begegnungen mit dem charismatischen „Gesamtkünstler“ John Cage, dessen vielfältiges Werk ihm bis heute am Herzen liegt, und mit Cornelius Cardew, der zum Freund und Weggefährten wurde. In Köln forschte er mit Stockhausen und Kagel im Keller über elektronische Musik, davor und danach war er Jahrzehnte lang Hornist bei den NÖ Tonkünstlern und den Wiener Symphonikern, später selber unorthodoxer Kompositionsprofessor in Wien.
Der musikalische Funke traf ihn als Kind bei Leoncavallos Pagliacci. Auf dem Wiener Opern-Stehplatz begeisterte er sich für Wagner, als Orchestermusiker für Strawinsky, aber auch für Lehár. Ja, sein Empfinden kann sehr romantisch sein, wird aber immer kontrolliert durch den scharfen Blick auf das Wesentliche. Nach neoklassizistischen Anfängen und oft gescheiterten seriellen Gehversuchen fand er spätestens 1964 mit dem Eichendorff-Quintett für Bläser seinen eigenen Stil, von Freund Friedrich Cerha damals als „Biedermeier“ bezeichnet, was Schwertsik damit beantwortete, dass sein Biedermeier von „Beethoven, Schubert & Nestroy“ geprägt sei. Wie wahr! Die jetzt schon legendäre „reihe“ hat er mitbegründet und sich intensiv für „Neue Musik“ aller Art in Wien eingesetzt, mit seiner singenden Frau Christa tritt er bis heute als Performer auf. Nicht nur exquisite Orchester- und Kammermusik, sondern auch hintersinnige Opern und grandioses Tanztheater hat er komponiert, übrigens alles bislang auf Salzburgs Bühnen kaum präsent. Und so lässt dieses Buch auf geneigte Leserinnen und Leser auch in Dramaturgien hoffen – und auf eine Fortsetzung. Vielleicht zum 90er? Jedenfalls, wie man so sagt, „ad multos annos!“
Kurt Schwertsik: Was und wie lernt man? Komponisten unserer Zeit/Band 32. Verlag Lafite, Wien 2020. 224 Seiten, 38 Euro - musikzeit.at
Ebenfalls gerade erschienen und sehr hörenswert: Kurt Schwertsik, Die Klavierwerke, mit Aya Klebahn, CD bei Gramola