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Die meist zu den Fleischern gehörten

BUCHBESPRECHUNG / DIE PEST IN LONDON

31/07/20 Alle Unterhaltungsspiele, Bärenhetzen, Geldspiele, jedes Balladensingen, alle Schildspiele oder dergleichen, die Menschenansammlungen zur Folge haben, sind durchaus zu verbieten und Zuwiderhandlungen durch jeden Stadtrat in seinem Bezirk streng zu bestrafen. Im Jahre 1665 wütete Die Pest in London. Daniel Defoe – genau der mit Robinson Crusoe – hat einen Bericht verfasst.

Von Heidemarie Klabacher

Erstverkaufstag der Neuübersetzung aus dem Englischen im Verlag Jung und Jung war der 29. Mai. Auf der Höhe des Lockdown. Verlegerische Hellsicht? Wohl eher Zufall. Neuübersetzungen alter englischer Klassiker – Melville, Thoreau, James, Hawthorne, Stevenson, Yeats – gehören zum Verlagsprofil. Zufall also. Genau wie der Komet? Vor der Pest in London waren es freilich zwei Kometen. Und die Dichter waren schon immer klüger: Ich sah diese Sterne beide, schreibt Defoe, und selbst er konnte zunächst nicht ganz umhin, sie als Vorboten und Warnzeichen von Strafgerichten Gottes anzusehen. Aber er wusste auch, daß natürliche Ursachen von den Astronomen als Gründe für solche Dinge angegeben wurden und daß ihre Bewegungen, ja sogar ihre Umdrehungen berechnet werden.

Schon damals hat eine Regierung – der Lord Mayor von London und seine Stadträte – mit einer Verordnung reagiert. Zeitnah. Die ersten beiden Toten wurden im Dezember 1664 verzeichnet, angeblich Franzosen, wenigstens keine Praktikanten. Die Verordnung betreffend die Erkrankung an der Pest 1665 trat am 1. Juli in Kraft. Es sei auch viel Gutes bewirkt und vieles noch Schlimmeres verhindert worden, kommentiert der Autor. Einzelne Teil-Verordnungen, wie das Verschließen der Häuser seien aber auch ganz furchtbar nach hinten los gegangen. Die Leute durften ja nicht einmal mit Mund-Nasen-Schutz selber einkaufen gehen. Das hatten die offiziell eingesetzten Wächter zu erledigen. Von simpler List, zu entkommen, bis zum Mord an den Wächtern reichten die Panikreaktionen: Es konnte auch wahrhaftig nichts Geringeres erwartet werden, denn hier gab es gerade so viele Gefängnisse in der Stadt, als Häuser verschlossen waren.

Zurückgenommen oder von den Juristen der Opposition überarbeitet wurden die Verordnungen nicht. Das Verschließen der Häuser hatte vor allem dazu gedient, die Leute zur Verzweiflung zu bringen und sie zu solchen äußersten Schritten zu treiben, daß sie unter den größten Wagnissen auszubrechen pflegten. Und was noch schlimmer war: Jene die so ausbrachen, verbreiteten durch ihr Umherstreifen mit der Krankheit in sich die Ansteckung weiter, als sie es sonst getan hätten. Von den vielen gesunden Angehörigen, die mit einem einzigen Infizierten eingesperrt wurden, seien unzählige verstorben, die sonst überlebt hätten.

Daniel Defoe, mit Robinson Crusoe 1719 Weltruhm gekommen, hat keinen Augenzeugenbericht geschrieben. Er war fünf Jahre alt, als die Pest in London wütete. Erst sechzig Jahre später kompilierte er aus offiziellen Dokumenten, Sterbelisten und Überlieferungen einen Bericht, den er einem Ich-Erzähler in den Mund legt. Dieser fiktive Erzähler hat sich nach langem Ringen quasi in Gottes Hand begeben und ist in London geblieben. Das ist spannend erzählt. Faszinierend ist der kluge Wechsel zwischen historischem Quellenmaterial und erzählerischen Momenten: Bei allem Grauen sei von der Obrigkeit etwa auch in der Schlimmsten Zeit (von 22. Augst bis 29. September wurden offiziell 38.195 Pesttote gezählt) dafür gesorgt worden, dass die Lebensmittel nicht knapp wurden und keine Leichen unbeerdigt oder unbeckt lagen.

Der Erzähler wundert sich geradezu darüber, dass nie ein Mangel an Bäckern oder in Betrieb gehaltenen Öfen geherrscht habe, wenn auch so manche Mägde, die mit ihrem zu backenden Teig zu den Backhäusern gingen, wie es damals Sitte war, manchmal krank, das heißt von der Pest ergriffen, nach hause zurückkamen.

Es darf vorweggenommen werden, dass die Menschen wenig klüger geworden sind und schon damals die Ärzte vergeblich dazu aufforderten, trotz des Rückgangs der Krankheit auch weiterhin Zurückhaltung zu beobachten und immer noch die äußerste Vorsicht in ihrem allgemeinen Verhalten zu gebrauchen:Aber es hatte alles keinen Zweck. Die verwegenen Kreaturen war in ihrer ersten Freude so besessen von der Genugtuung, eine gewaltige Abnahmen in den Wochenlisten zu sehen, daß sie unempfindlich für neue Schrecken waren.

Immer wieder drängt es zu Recherche-Zwecken auch den durchaus über-vorsichtigen Ich-Erzähler, einen Geschäftsmann, aus seinem sicheren Haus: Da sucht er um Erlaubnis nach, einen Friedhof zu betreten, um zu sehen, wie man die Leichenberge des Abends verscharrt. Der Tiefe der Massengräber war – wegen des Grundwassers – eine natürliche Grenze gesetzt. Sie waren immer zu klein.

Mit Schrecken und Grauen spart der Autor nicht. Umso wirkungsvoller in ihrem bürokratischen Ton (da hat sich in 355 Jahren nichts geändert) sind die eingestreuten Fakten aus den historischen Verordnungen und umso befremdlicher wirken einzelne erzählerische Ruhepunkte, wie etwa die Begegnung mit einem geradezu messianisch gezeichneten Fährmann in Greenwich. So weit hat sich er Erzähler aus der City hinaus gewagt – und steht dann staunend an jenem Teil des Flusses, wo die Schiffe vor Anker gehen: Mehrere hundert Schiffe und zehntausend und mehr Menschen, die mit der Schiffahrt zu tun hatten, waren hier vor der Heftigkeit der Seuche zuverlässig geschützt und leben (auf den Schiffen, Anm.) sehr sicher und ganz unbesorgt. Der umsichtige Fährmann versorgt die Schiffsbewohner mit Lebensmitteln und erhält mit dem Verdienst seine Familie, der er sich nicht nähert, um seine Lieben nicht anzustecken.

Dem Ich-Erzähler ist übrigens nach diesem Ausflug die Lust an weiteren Exkursionen bald vergangen und er hielt sich danach viel zu Hause auf: Es verging kaum ein Tag oder eine Nacht, ohne daß sich irgendein schrecklicher Vorfall oder sonst etwas am Ende der der Harrow Alley ereignete, denn diese Stelle war immer voll armer Leute, die meist zu den Fleischern gehörten oder in ihrer Beschäftigung vom Schlächter-Gewerbe abhingen.

Daniel Defoe: Die Pest in London. Aus dem Englischen übersetzt von Rudolf Schaller. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2020. 385 Seiten, 25 Euro – jungundjung.at
Bild: Wikipedia

 

 

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