Eine Pianistin unter Strom
BUCHBESPRECHUNG / MARIA ANNA MOZART
04/12/19 Da blättert man das neue Buch über Mozarts Schwester Nannerl durch und stößt auf eine Bauanleitung für Blitzableiter. Das kommt überraschend. Aber Maria Anna Mozart war eben viel mehr war als seine Schwester, sondern eine sehr eigenständige Persönlichkeit. Und eben vielseitig interessiert.
Von Reinhard Kriechbaum
Die Sache mit dem Blitzableiter erklärt sich im Buchbeitrag von dem Historiker Gerhard Ammerer. Er ist ein paar Tagebucheinträgen von Maria Anna und ihrem Vater Leopold nachgegangen. Erzbischof Colloredos aufgeklärtem Denken war zu verdanken, dass an der Benediktineruniversität öffentliche Vorlesungen, explizit für „beyderlei Geschlechter“, eingerichtet wurden. Maria Anna Mozart war eine fleißige Besucherin dieser „Unterhaltungen“, die nach einer oder anderthalb Stunden gar in „Belustigungen“ mündeten. Das eine meint Vorträge, mit dem anderen bezeichnete man das Vorzeigen von physikalischen Experimenten. Auch als Maria Anna Mozart verheiratet war und in St. Gilgen lebte, hat ihr der Vater, der ebenso diiese öffentlichen Vorträge, eine Vorform von Volkshochschule, Vorlesungszettel zugeschickt. Der Blitzableiter wurde mehrmals diskutiert in den Briefwechseln zwischen ihr, dem Bruder Wolfgang Amadé und dem Vater. 1778 bekam Schloss Mirabell die ersten Blitzableiter, da war Wolfgang Amadé mit seiner Mutter gerade in Paris unterwegs.
Aber wir schweifen ab: Maria Anna steht hier im Mittelpunkt. Dem „Nannerl“ Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, darum haben sich in den vergangenen Jahren viele Salzburger Wissenschafter und vor allem Wissenschafterinnen unterschiedlicher Disziplinen verdient gemacht, unter anderem in drei Symposien. Dass dazu eine Kennerin des Mozart-Schrifttums wie Geneviève Geffray oder ihr Fachkollege Christoph Grosspietsch etwas zu sagen haben, liegt auf der Hand. Aber auch die Expertise der Volkskundlerin Ulrike Kammerhofer-Aggermann kommt gelegen, wenn es um die Lebens-Sitten geht, etwa den Heiratskontrakt und das Testament ihres Ehemannes. Die Volkskunde versteht sich ja längst als eine auch der Soziologie eng angeschlossene Disziplin. Hochinteressant also, was sie herausgebracht hat über die Heirats-Usancen im Salzburger Umfeld. Eine solche Verehelichung hatte viel mit Geld, mit eventuell nötiger Mitgift und nicht zuletzt mit der Wahrung von sozialem Stand zu tun. Leopold Mozart wurde von einigen Mozart-Biographen vorgeworfen, er habe eine Liebesheirat seiner Tochter verhindert. Das greift, wie sich nun zeigt, entschieden zu kurz.
Sehr anschaulich, was sich in Ulrike Kammerhofer-Aggermanns Beitrag über die Lebenswege von Frauen im Umfeld der Mozarts, darunter viele begabte Musikerinnen, findet. Eva Neumayr, die Herausgeberin dieses Kompendiums über Maria Anna Mozart, hat dazu in einem Fachbeitrag schon vor 13 Jahren entscheidende Vorarbeit geleistet. Das Aufschlussreiche an dem neuen Buch ist gerade die Zusammenschau. Im Beitrag von Käthe Springer-Dissmann wird übrigens, quasi nebenher, auch die Mutter, die „Mozartin“ rehabilitiert. Anna Maria Walburga Pertl, die Leopold Mozart ehelichte, ist als Mensch nur im milieutypischen Umfeld zu beurteilen. Mozart-Biographen haben auch da Unheil angerichtet und das Urteil der Nachgeborenen negativ beeinflusst.
Herausgeberin Eva Neumayr im Vorwort zur geänderten Wahrnehmung des „Nannerls“: Die Bilder verschoben sich, weg von der vom Vater und Ehemann fremdbestimmten zu einer eigenständig agierenden Frau, die ihr Leben zwar innerhalb der Grenzen führen musste, die die Gesellschaft damals setzte, die aber – auch mithilfe ihres oft gescholtenen Vaters Leopold Mozart, der immerhin seiner Tochter eine vorzügliche musikalische Ausbildung gab und ihr mit Freundschaft und Respekt begegnete – mehr erreichte, als eine bürgerliche Frau damals erhoffen konnte.“
Interessant übrigens Leopold Mozarts Briefnotiz nach dem Tod seiner Frau: „Eine Familie musste zerrissen werden, die nicht als Eltern und Kinder, sondern als Freunde zusammenlebten.“ Der Satz könnte einem Familienberater unserer Zeit gut gefallen. Auch der Ratschlag Leopolds an seine Tochter nach einer Ehekrise: „zörne dich über nichts! lache! und gehe in dein Zimmer“ Dazu würde man heutzutage Deeskalation sagen.
Eva Neumayr (Hrsg.): Maria Anna Mozart. Facetten einer Künstlerin. Mit Beiträgen von Gerhard Ammerer, Geneviève Geffray, Christoph Großpietsch, Ulla Kammerhofer-Aggermann, Monika Kammerlander, Anja Morgenstern, Eva Neumayr, Eva Rieger und Käthe Springer-Dissmann. Veröffentlichungen des Archivs der Erzdiözese Salzburg, Bd. 20. Hollitzer Verlag, Wien 2019. 308 Seiten, 45 Euro – www.hollitzer.at
Das Buch wird heute Mittwoch (4.12.) um 18 Uhr im Domchorsaal im Kardinal-Schwarzenberg-Haus (Kapitelplatz 3) vorgestellt