Jazz, Kaugummi, Jugendverbot
JUGEND IN SALZBURG 1945-1969
20/12/09 Aus ganz unterschiedlichen Lebens-Erinnerungen entsteht ein Kaleidoskop jungen Lebens in Salzburg aus den ersten zweieinhalb Jahrzehnten nach dem Krieg.Von Reinhard Kriechbaum
"Verboten: Mädchen in Hosen. Neue Mode, ausgschamt. Petticoat, breiter Gürtel und enge Angorapullover. Sittenlos, undeutsch... Verboten in der Schule: Kaugummi (Wiederkäuer) und Blue Jeans (Amidreck)." Daran erinnert sich Christian Lunzer, aber auch daran: "Wir alle wollten wie Anthony Perkins sein oder wie James Dean. Schlüsselwort: Lässig." Auch in den "Geschichten von E." (der Buchstabe steht für Ernst Mitgutsch) tauchen die Amerikaner auf. Der erste "Neger" in der Getreidegasse (und die folgende Basis-Lektion in Sachen Political correctness) - aber auch das erste Päckchen mit Wringley's Chewing Gum: "E. war ab nun in die ihm bis dahin unbekannte neue Kulturtechnik des Kaugummikauens eingeführt und hatte seine Liebe zu Amerika entdeckt.
"E." erinnert sich aber auch an das Schimpfwort "Ami-Schickse" für junge Damen, die sich mit Soldaten der Besatzungsmacht eingelassen hatten. "Dass viele der durchaus noch vom Geist des Nationalsozialismus geprägte Österreicher hier unbewusst ein jiddisches Schimpfwort für eine meist christliche Nicht-Jüdin oder eine zu aufreizend gekleidete und zu freizügige junge Frau verwendeten, entbehrt nicht einer gewissen Ironie."
Zeitensprung in das (in Salzburg durchaus nicht "wilde") Jahr 1968: "Die verschlafene Revolution" betitelt Kurt Schüller seinen autobiographischen Notizen. Übermäßiger Alkoholkonsum war damals ein Thema - ganz so wie heute vor der Sega-Bar. "Wenn ich mir die heutigen Medienergüsse zum Thema 'Komasaufen' und Gewalt ansehe, frage ich mich, wo der Unterschied zu damals war", bilanziert Schüller. Er ist mit Friederike Goldschmid und Volker Toth Herausgeber dieses anregenden Streifzugs in die jüngere Zeitgeschichte aus jeweils sehr persönlicher Perspektive.
Viel Unterschiedliches findet Platz in dem liebevoll mit Bildern aus den jeweiligen "Familienalben" illustrierten, aber textlastigen Buch. Da erinnert sich Franz Mayrhofer mit literarischem Anspruch an seine Jugendzeit in der Brodgasse, Marko Feingold berichtet von der "Rückkehr des jüdischen KZ-Häftlings Nr. 11966" und Eberhard Stüber spricht vergleichsweise offen von der Vergangenheitsbewältigung im Haus der Natur: "Direktor Tratz war auf jeden Fall sehr bekannt und beliebt; Salzburg war eben ein Zentrum ehemaliger NS-Größen."
Neben solchen Berichten ganz subjektive Erinnerungen von Salzburgerinnen und Salzburgern. Da erzählt eine Dame vom Einkaufen und der sich allmählich ändernden Wirtschaft, auch im "Paradies" Maxglan: "Als dann an der ersten Maxglaner Hauptstraße der erste Supermarkt eröffnet wurde, fuhr meine Mutter einmal pro Woche mit dem Rad auf Umwegen dahin, damit die Geschäftsleute sie ja nicht dabei 'ertappten'."
Genau das ist das Reizvolle: Die Herausgeber haben die 26 Autorinnen und Autoren nicht auf "Linie" gebracht. Ein jeder und eine jede erzählt ganz subjektiv, scheinbare Nebensächlichkeiten ebenso wie Dinge, die eben eine Generation junger Menschen damals geprägt haben. So ergibt sich ein Bild vom Denken und Fühlen in einer Stadt, die damals wahrscheinlich noch viel weniger (jedenfalls: genau so wenig) Metropole war wie heute. Im Dorf-Konglomerat zwischen Aigen, Itzling und Maxglan lebte es sich, so die allgemeine Aussage, durchaus gemütlich, auch wenn noch Häuser zerbombt und die Stadt voller "Displaced persons" war. Immerhin waren da nicht nur attraktive Amerikanische GIs, sondern auch spürbarer Aufbruch ins Wirtschaftswunder. Und "Unter den Talaren - Muff von tausend Jahren": Wen stört das hier schon?