Ein Buch für die, die unter Schöpfung stehen
BUCHBESPRECHUNG / PITZKE / WIR STEHEN UNTER SCHÖPFUNG
18/05/18 Dieter, der sich mit seiner Freundin eine Auszeit nimmt und von der Bildfläche verschwindet; Albert, der eine Exekution verhindert; Kurt, der „Tee in sich hat“ oder Lucy, die einfach da ist – sie alle gehören zu den Unangepassten, eben denen, die „unter Schöpfung stehen“.
VON VERENA RESCH
„Jetzt war Dieter nicht mehr da.“ Nach der Massenpanik in einem Turm ist Dieter verschwunden und für Berger beginnt eine intensive Suche nach seinem Sohn – hatte er Drogenprobleme oder gab es Schwierigkeiten an der Uni? Berger sucht die Stadt nach ihm ab, kehrt immer wieder zum Turm zurück, obwohl er das Gefühl hat, hier keine Luft zu bekommen und obwohl er spürt, dass er Dieter hier nicht findet und dessen Verschwinden nicht mit der Massenpanik zusammenhängt.
Tatsächlich hat Dieter seine Freundin Hilda, die in der Mensa der Universität arbeitet, abgeholt und ist mit ihr ans Meer gefahren, nach Eiderstedt, an den Rand der Welt. Gewiss, um dort das Meer in sich zu suchen. Dort beziehen sie ein Stelzenhaus, in dem sie die nächste Zeit verbringen und ein derart entschleunigtes Leben führen, dass sie die Beschleunigung erst wieder lernen müssen.
Nach einigen Monaten verlassen sie den Ort wieder, zurück in die Heimat geht es aber zunächst nur für Hilda, die inzwischen ein Kind erwartet. Dieter hingegen reist nach Amerika, um dort Verwandte zu treffen, ist doch sein Großvater Albert nach Amerika ausgewandert. Die meisten von Pitzkes Protagonisten scheinen auf der Suche zu sein. So auch Albert, der war auf der Suche nach einer Frau. Nur so kam er überhaupt auf die Idee, im April 1945 die Reise nach Deutschland zu wagen. Und nur so konnte es zu jenem Moment kommen, als er eine Exekution verhinderte.
Es gibt aber auch jene, die angekommen zu sein scheinen. So wie Kurt, der beschrieben wird als „einer, der bleiben wollte, in dieser Stadt“. Nicht umsonst hat er ein Konzertabonnement und eine eigene Kabine im städtischen Freibad. Seine Frau Lydia sagt, Kurt habe „Tee in sich“. Was das heißt? Gelassenheit, ein Schöngeist eben. Sie selbst kümmert sich sowohl um Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen als auch um ihr Gemüse, ernten und essen will sie es aber nicht, davor zögert sie. Zu Bergers Freunden zählt außerdem noch Lucy, die so selbstverständlich da ist, wie morgens die Sonne auf geht und einfach nicht zum Einsturz zu bringen ist. Wenn sie zu viert auf Lucys weißem Sofa sitzen und große und kleine Dinge verhandeln, haben sie „ das Gefühl, dass sie zusammengehören auf eine unerklärliche Art.“
Einfühlsam und mit einem genauen Blick für kleinste Details schildert die Autorin die Empfindungen ihrer Protagonisten und deren Bemühen, in ihrem Leben das Glück zu finden. Vor allem ist ihr Roman eine Huldigung der unangepassten Menschen, denen, die gegen den Strom schwimmen, eben „unter Schöpfung stehen“.