Die Geschichte eines Winterschlafs
BUCHBESPRECHUNG / FEDERMAIR / MONDEN
13/04/18 Eine Frau, die im Wandschrank eines Fremden überwintert. Ein Fremder, der sich nicht dagegen wehrt. Und ein Schriftsteller, der die Geschichte der beiden aufschreibt – und damit auch seine eigene. Und dann erst der Schluss! Leopold Federmairs Roman „Monden“ ist eine Herausforderung.
Von Christina König
Sich einen iPod zuzulegen, wäre dem Ich-Erzähler nie in den Sinn gekommen – anfangs hält er das kleine „i“ sogar für ein umgedrehtes spanisches Ausrufezeichen. Als er wegen einer Operation einen längeren Krankenhausaufenthalt vor sich hat, kauft ihm seine Frau dann doch einen. Eigentlich, damit er Chopin hören kann. Doch als er seinen iPod im Krankenhaus einschaltet, kommt plötzlich eine Frauenstimme aus dem Gerät, die ihm ihre Geschichte erzählt. Eine Frauenstimme, die, wie er bald herausfindet, einer der Krankenschwestern gehört. Ihr Name ist Marie, und jede Nacht benutzt sie die Aufnahmefunktion des iPods, um von ihrem Leben zu berichten – und besonders vom vergangenen Winter. Einem Winter, den sie in Gesellschaft eines Transistorradios, eines Plüschhundes und einer Taschenlampe im Schrank eines fremden Mannes namens Monden verbracht hat.
Sehr ausführlich und gleichzeitig poetisch erzählt Marie, wie sie die Kreditkarte eines Vaters stiehlt, mit dem sie eine eher klinische Beziehung verbindet und den sie wohl darum hauptsächlich den „Primar“ nennt, wie sie auf Reisen geht und sich schließlich – scheinbar aufs Geratewohl – heimlich bei Monden einnistet. Zunächst versucht sie, ihre Anwesenheit geheim zu halten, wird paranoid beim Gedanken, ihre Binden zu entsorgen, und isst nur die Dinge aus dem Kühlschrank, von denen mindestens zwei da sind. Doch schließlich wird sie unvorsichtig, die Zeichen ihrer Anwesenheit häufen sich und der inzwischen misstrauische Monden installiert Kameras im Haus, über die Marie einfach Tücher wirft. So verrät sie endgültig ihre Anwesenheit – doch was tut Monden? Nichts. Und irgendwann wagt Marie sich aus ihrem Schrank heraus …
Leopold Federmair erzählt immer abwechselnd die Geschichte von Marie, und zwar in Form der niedergeschriebenen iPod-Aufnahmen, und die des Ich-Erzählers, der sich immer mehr auf Marie und ihre körperlose Stimme einlässt. Denn im „echten“ Leben haben die beiden keinen Kontakt, der über eine professionelle Patienten-Krankenschwester-Beziehung hinausgeht. So entscheidet sich der Ich-Erzähler schließlich, die Geschichte aufzuschreiben. Heraus kommt der Roman „Monden“.
Wer es gern kurz, knapp und schlicht hat, dem wird Federmairs Buch kaum zusagen. Beide Erzählstränge schildern die Empfindungen und Erlebnisse des Ich-Erzählers und Maries ausführlich, behutsam, auch lyrisch und spielerisch. Oftmals wird der Inhalt zweitrangig und tritt hinter die Form zurück; teilweise sind die Sätze (zu) lang oder es fehlen bei Aufzählungen die Kommas. Viele Passagen sind handlungsarm und dafür reich an Naturbeschreibungen und Naturszenen, die so detailliert nicht sein müssten. Kleinigkeiten und Details schenkt Federmair mehr Aufmerksamkeit als dem großen Ganzen – das ist vielleicht nicht schlecht, jedoch doch zumindest gewöhnungsbedürftig.
Aber selbst für Leute, die einen poetischen Stil mögen, ist der letzte Teil des Romans eine harte Nuss. Er ist mehr als Anhang zu sehen statt als Abschluss der Geschichte und enthält Fragmente aus Maries Notizbuch, das sie dem Ich-Erzähler neben den iPod-Aufnahmen hinterlässt. Und diese folgen endgültig keinem roten Faden mehr, erzählen keine Geschichte, sondern sind nur zusammenhanglose Sprachfetzen, manchmal nur wenige Wörter lang, die entweder kleinere Episoden aus Maries Leben enthalten, beispielsweise über ihre Angst vor Spinnen oder einen kaputten Kaffeeautomaten im Zug, oder die überhaupt nichts mit dem Rest des Romans zu tun zu haben scheinen: „Drei Wohnblocks, in der Mitte ein breiter Turm: Flügelaltar.“ Hier entsteht der Eindruck, Federmair habe zeigen wollen, wie kreativ er mit Sprache umgehen kann, und sich wenig bis keine Gedanken darüber gemacht, was diese Passagen mit dem Rest des Romans zu tun haben – in den meisten Fällen nichts. Den Großteil des Romans kann man mögen. Den Rest überblättern.