Wenn Heilige müssen einem Lumpen weichen
BUCHBESPRECHUNG / REISCHENBÖCK / DIE MOZARTS IN SALZBURG
23/12/16 Der Heilige war der Heilige Michael auf dem Brunnen am damaligen „Michaelsplatz“. Der Lump war Mozart: Seinem Standbild musste anno 1841 der Heilige samt Brunnen weichen. Das haben viele – Einheimische und Auswärtige – lange nicht verkraftet.
Von Heidemarie Klabacher
Wenigstens wurde nicht auch der Turm der Michaelskirche abgetragen, wie vom Bildhauer Schwanthaler beantragt, um seinen Bronze-Heroen besser zur Wirkung kommen zu lassen. Wer weiß, wie die Schmähgedichte dann ausgefallen wären.
Der Brunnen ist entbehrlich, das ist ganz klar,
Weil unser Mozart ein Schnapstrinker war.
Ich bin der Meinung und gesteh es frei,
Was nutzt die Musik, nichts zu essen dabei?
Die Salzburger Herrn haben einen Tempel gebaut,
Haben einen Spielmann für einen Heiligen ang'schaut.
So lautet der Schluss des gereimten Pamphlets, das im Nachlass eines Wieners aufgefunden und am 28. März 1931 im Salzburger Volksblatt veröffentlicht wurde. Bei den Aushubarbeiten für das Fundament der Mozartstatue auf dem heutigen Mozartplatz wurde das berühmte römische Mosaik mit der schönen Inschrift „Hier wohnt das Glück - nichts Böses trete ein“ gefunden. Eine Mozart-Geschichte auf solider Fakten-Basis und durchaus bekannt.
Aber wer kennt das über gut hundert Jahre in einer Wiener Familie vererbte Schmähgedicht? Oder wer hat am Schnürchen, dass der Staatsdichter Grillparzer den Text für die Festkantate zur Enthüllung des Mozartdenkmals am 4. September 1842 hätte schreiben sollen, aber den Auftrag zu spät bekommen hat... Das sind einige, aber längst nicht alle Geschichten und Geschichten, die Horst Erwin Reischenböck in seinem Buch „Salzburg und die Mozarts“ allein rund um das Mozartdenkmal zusammengetragen hat.
Vom Alten Markt über die die Judengasse und den Waagplatz kommend, führt Horst Erwin Reischenböck Mozart-Geschichten erzählend von Haus zu Haus. Im Epizentrum der Mozartverehrung verweilt der Salzburger Mozartkenner, Musik-Experte und Musik-Kritiker. Dann geht es weiter über den Papagenoplatz (mit Blick auf den ehemaligen Sitz der Freimaurerloge „Zur Fürsicht“ im späteren Wirt „Zum Goldenen Zirkel“), in die Kaigasse (mit Blick auf den Wohnsitz des ersten Sekretärs der Stiftung Mozarteum) und schließlich weiter über die Adresse Nonnberggasse 12 (wo die Nissens wohnten und später Bernhard Paumgartner) Richtung Leopoldskron und Kommunalfriedhof – wo selbst Aloys Taux ruht, der erste Direktor der „Musikschule Mozarteum“...
Es ist eine schier unendliche Fülle an Fakten, Daten und Namen, die Horst Erwin Reischenböck in der zweiten, revidierten und erweiterten Auflage seines im Eigenverlag erschienenen Buches zusammengetragen und in zwei großen „Spaziergängen“ gebündelt hat. Der erste Spaziergang beginnt bei und mit Mozarts Geburtshaus. Die Räume des Museums der Stiftung Mozarteum werden beschrieben, in diesen Teil flicht Reischenböck auch die Biografien der Kinder und Enkel von Leopold Mozart und Anna Maria Walpurga geborene Pertl. Den Personen aus dem „Salzburger Umfeld“ und dem „Freundeskreis“ der Mozarts gelten die ersten Besuche. Nach dem „gesellschaftlichen Verpflichtungen“ wendet sich Reischenböck – als Fremdenführer und „Nachtwächter“ quasi bei Tag und Nacht im Dienste der Stadt und ihrer Musik-Geschichte unterwegs - in einigen Abstechern etwa nach St. Blasius, zum Lüpertz-Mozart und weiter nach Mülln - zurück in die Altstadt und Richtung Süden.
Der zweite große „Spaziergang“ durch die Neustadt nimmt seinen Anfang beim Mozart Wohnhaus sowie dem ehemaligen „Hoftheater“und vormaligen „Ballhaus“ (wo man keineswegs auf Bällen getanzt, sondern mit Bällen eine Art Tennis gespielt hat). Auf dem Kapuzinerberg stand einst das Zauberflöten-Häuschen. Zum Kapuzinerkloster scheint es tatsächlich keine Mozart-Geschichten zu geben, der Fremdenführer Reischenböck lässt das ehemalige „Trompeterschlösschen“ ebenso wenig unerwähnt, wie etwa Stefans Zweigs ehemaliges „Paschinger-Schlössl“. Unten in der Linzergasse im Sebastiansfriedhof ruht das Ehepaar Nissen, also Mozarts Witwe mit ihrem zweiten Gemahl. Leopold, Wolfgangs Vater, ist hier nicht beerdigt, wohl aber dessen Großmutter. Man kann Horst Erwin Reischenböck nicht genug danken dafür, dass er einem eine Handreichung für Friedhofsbesuche mit Gästen zur Verfügung stellt. Wer merkt sich denn, welche Knochen wann als nicht zur Familie Mozart gehörig nachgewiesen werden konnten. Sicher ruht Aloys Taux gegenüber.
Nach einem Besuch des ehemaligen Landhauses der Familie Haffner (Serenaden!), der heutigen Universität Mozarteum, dem Lodron'schen Primogeniturpalast (Haus- und Nachtmusiken!) und des Schlosses Mirabell samt Heckentheater (Bastien und Bastienne!) geht es auch in diesem Kapitel hinaus auf's Land .
Im Kapitel „Mozart und die Nachwelt“ würdigt Reischenböck die Institutionen, die sich „Mozartpflege“ verschrieben haben. Eine Liste der Werke, die Mozart in Salzburg komponiert hat, und ein umfassendes Literaturverzeichnis runden das Buch ab. Ein reizvolles unverzichtbares Nachschlage- und Erzählwerk zugleich.