Schmelzbare Kunst
GASTEIN, FLACHAU / ART ON SNOW, MINUS20DEGREE
20/01/16 Längst reicht es im Wintertourismus nicht, auf Hangschrägen und Schnee zu setzen, komme er vom Himmel oder aus der Kanone. Was ein ernsthaftes Schigebiet sein will, lockt zu einem Opening mit Popstars. Mitte Jänner/Anfang Febuar ist dann weiterer Input nötig.
Von Reinhard Kriechbaum
In dieser Zeitspanne reichen ältere Niederländer oder kinderlose Gäste aus Nordrhein-Westfalen (nach wie vor die stärksten Quellmärkte für den heimischen Tourismus) nämlich nicht aus zum Bettenfüllen. Der rechte Zeitpunkt also für allerlei Betriebsamkeit, die mancherorts gleich in kulturähnliche Unternehmungen ausartet. Zu „Drei Tagen Jazz“ lockte man am vergangenen Wochenende nach Saalfelden/Leogang. Die Konkurrenz in Flachau schläft auch nicht und ruft gerade an diesem Wochenende zur „minus20degree Kunst- und Architekturbiennale“. Sie findet zum dritten Mal statt. Im Gasteinertal pflegt man den Jazz auf der Piste, in Konzertlobbies und im Sägewerk schon geraume Zeit. Er hilft dort die Flaute auf Ostern hin aufzufangen. Und zum fünften Mal gibt es „Art on Snow“ Gastein. Morgen Samstag (30.1.) geht es los damit.
Groß ist der Sagenschatz in der Gegend, drum hat man „Gasteiner Sagen“ als Motto gewählt und kreative Menschen angehalten, sich diese uralten Geschichten des Alpentals vorzuknöpfen. Während der „Art on Snow“-Woche (bis 5. Februar) gestaltet nun jeder dieser Bastler mit kaltem Material Werke entsprechend „seiner“ Sage. „Vierzehn Künstler arbeiten heuer für das Festival in Gastein“, erklärt Josef Gruber, Organisator und künstlerischer Leiter der Veranstaltung.
Sandra Brugger und Manfred Hellweger haben sich für die Sage „Der Berggeist“ entschieden. „Wir finden diese Sage sehr passend, da der Berggeist auch das schöne Gasteinertal mit seiner Berglandschaft präsentiert und gleichzeitig die wertvollen Heilquellen, die ebenso typisch für dieses Tal und weltweit bekannt sind“, meint Hellweger. Die Schneeskulptur, an die gerade letzte Hand angelegt wird, steht vor der Alpentherme.
Gäste wie Einheimische können in der kommenden Woche den Künstlern beim Schaffen ihrer Werke zuschauen. Riesige Schneebilder des britischen Künstlers Simon Beck sollen ein Höhepunkt heuer werden. Er ist zum ersten Mal eingeladen. Nur mit Schneeschuhen und einer Skizze wird er sich auf den Weg machen. Auf einer Fläche von 15.000 Quadratmetern, das sind in etwa drei Fußballfelder, will er seine Bilder in den Schnee drücken.
Schneeschuhe sind eher seltenes Arbeitsmaterial bei „Art on Snow Gastein“, meist sind Krampen, Schaufel und Hacke gefragt. Manche Leute arbeiten auch in Eis. Wie auch immer: Zu viel Sonnenstrahlen tun dieser Art von Graphik- und Skulptur-Kunst nicht gut.
„Glow in the dark“? Auf der falschen Spur wäre man, würde man da illuminiertes Après-Skiing an einer der vielen Schirmbars in der Gegend argwöhnen. Das Glühen im Dunkeln ist nämlich eine Fotoausstellung, wie es sie schon mehrmals in Bad Gastein und Bad Hofgastein gegeben hat. Im Wienersaal in Bad Gastein findet eine weitere Ausstellung statt und man hat dort einen Künstlertreff eingerichtet. In einer Performance am Sonntag (31.1.) führt Cosimo Miorelli mit einer Art digitalem Live-Painting durch die Welt der Gasteiner Sagen, Fabrizio Nocci untermalt die Show mit Musik. Am Montag und Donnerstag ist Live Painting mit Snowboard Designer Daniel Hölzl angesagt und Alex Neumayer schnitzt am Freitag am Kinoplatz in Bad Gastein, begleitet von einer Live Band, eine Eisskulptur.
Man bewirbt „Art on Snow Gastein“ als "größtes Kunstfestival der Alpen". Solange kein Mitbewerber ein geharnischtes Veto einlegt, mag man das so stehen lassen.
Fast ein wenig Selbstironie hat das Motto im Flachau: „Die Schmelze“ heißt es bei der „minus20degree Kunst- und Architekturbiennale“ dort. Es ist also Kunst und Kultur mit auffallend tiefem Schmelzpunkt – die derzeit fast frühlingshaftenTemperaturen konnten die Veranstalter freilich nicht im Voraus ahnen. 23 Künstlerinnen und Künstler aus 17 Ländern sind dort unterwegs. Vielleicht übertrumpft man damit Gastein gleich ein paar Alpentäler ostwärts?
Veranstaltet und organisiert wird minus20degree vom Künstler und Komponisten Heinz Riegler und dem Architekten Theo Deutinger. Die beiden stammen aus Flachau. „Ein Parcours führt durch das Dorf und verknüpft Installationen, Performances und Kunstwerke zu einem einzigartigen Ausstellungsraum“, heißt es in der Landeskorrespondenz. Und noch vollmundiger: „Für drei Tage ist Flachau Mittelpunkt des internationalen künstlerischen Schaffens.“ Das Selbstbewusstsein steigt offensichtlich mit sinkenden Temperaturen und wir sind im Grunde froh, dass es nicht wirklich beißend kalt ist.