Ein Philosoph impft gegen „massive Idiotie“
HINTERGRUND / 30 JAHRE TAURISKA
28/01/16 Nachhaltigkeit, Förderung regionaler Strukturen, Umweltbewusstsein, Identität stiften auch über den Weg der Kultur: Das sind seit dreißig Jahren Stichwörter für den Verein Tauriska und sein Leitungsteam Susanna Vötter-Dankl, Christian Vötter sowie Günther Nowotny.
Von Reinhard Kriechbaum
Natürlich gibt es auch eine „Leopold Kohr Bibliothek“ im Kammerlanderstall in Neukirchen am Großvenediger. Schließlich war Kohr mit seinen Ideen für kleine, überschaubare Einheiten von Anfang an dort der „Hausphilosoph“. Im Rahmen der Leopold-Kohr-Akademie werden dort seine Ideen weitergetragen und nach Kräften weiterentwickelt. Der Nationalökonom und Philosoph Leopold Kohr (1909-1994) vertrat die These vom Primat des einzelnen Menschen gegenüber der Massengesellschaft. Er war sozusagen ein Antipode zur Globalisierung. Der fällt man dank Tauriska im Oberpinzgau garantiert nicht zum Opfer.
Auch wenn manchmal Gegenwind weht. Zum Beispiel jetzt, da man nicht genau weiß, ob und wie es mit dem Kamerlanderstall als örtlichem Kulturhaus weitergeht. Der Pachtvertrag läuft heuer aus. Es klingt ein wenig danach, dass es auch in kleinen Einheiten nicht so leicht ist, ehzeitig miteinander zu reden und Nägel mit Köpfen zu machen. Aber so gut, wie die Tauriska-Betreiber über ihren langjährigen Mentor Alfred Winter mit den Geldgebern im Land vernetzt sind, liegt die Annahme nahe: Tauriska wird wohl nicht in Container übersiedeln, wie man bei einem Pressegespräch am Mittwoch (27.1.) in Salzburg andeutete. Aber solche Aussagen machen Effekt und man führt den Subventionsgebern damit vor, dass Kulturarbeit im Land – schon gar eine solche, wie sie Tauriska auf den Weg bringt – alles andere als selbstverständlich ist und nur auf Basis großen persönlichen Einsatzes läuft.
Das besondere an Tauriska ist eben, dass der Begriff „Kultur“ sehr je her weit gefasst ist. Lebenskultur im weitesten Sinn, natürlich auch Agri-Kultur. Erst im Vorjahr hat man für das „Bramberger Obstprojekt“ den Volkskulturpreis des Landes bekommen. Knapp vor Weihnachten ist im Verlag Tauriska das Buch „Ehrlich – wertvoll – schön. Mit Leinen leben“ erschienen. Da heißt es unter anderem: „Leinen macht Dich frei von Kinderarbeit, frei von Chemiefasern, frei von Allergenen, frei vom Massenangebot.“
Die Masse – ein Schlüsselwort der Kohr'schen Gesellschaftskritik: „Das Maß aller Dinge ist der Mensch, nicht die Menschheit, die Gesellschaft, die Nation oder der Staat. Da der Mensch klein ist, müssen auch seine Institutionen – Familie, Betrieb, Wirtshaus, Spital, Dorf, Stadt, Gesangsverein – relativ klein bleiben, wenn sie ihn nicht zerquetschen sollen.“
Manche Aussage von Kohr wird man gerade heute neu und auf ihre Aktualität hin lesen: „Erkrankt der Organismus eines Staates am Fieber der Aggression, an Brutalität, an Kollektivismus oder einfach an massiver Idiotie, so geschieht dies nicht, weil er einer schlechten Führung oder geistigen Verwirrung zum Opfer gefallen ist, sondern weil menschliche Wesen, die als einzelne oder als kleine Gruppe so reizvoll sein können, in hochkonzentrierte soziale Einheiten zusammengefasst wurden, etwa in Horden, Gewerkschaften, Kartelle oder Großmächte, die als solche in unkontrollierbare Katastrophen hineinschlitterten.“
Aus solchen Gedanken jedenfalls leiten sich Auftrag und Programm der Akademie ab: Lehre, Entwicklung und wissenschaftliche Begleitung von Kultur-, Sozial-, und Wirtschaftskonzepten in denen der Mensch mit seinen individuellen Faehigkeiten, Fertigkeiten und seinen vielfaeltig ausgepraegten Beduerfnissen im Mittelpunkt steht.
Begegnung ist ein entscheidender Punkt im Programm des Jubiläumsjahres 2016: Bildende Künstlerinnen und Künstler wie der aus Neukirchen stammende Rudi Scharler und der in Wien lebende Peter Fritzenwallner finden hier ebenso ein Forum wie zeitgenössische Musik, Lesungen und regionale Diskussionsthemen.
Albert Hartinger wird mit Studierenden einen Workshop über Johann Sebastian Bach abhalten. Das Jugendprojekt „Stromlos“ wird Künstlerinnen und Künstler aus dem Bereich Hip Hop, Rock und Pop zusammenführen. Ebenso findet an einer zeitgenössischen Kreuzwegstation eine Passionsaufführung, für die der Komponist Theodor Burkali Texte der Mundartdichterin Barbara Rettenbacher-Höllwerth vertont hat, statt. Mi dem Projekt Alpine Peace Crossing ist ein gemeinsames Musizieren einheimischer Musikantinnen und Musikanten mit Flüchtlingen geplant.
Literarisches, wie zum Beispiel eine Lesung des Neukirchner Autors Florian Gantner, wird ebenso wenig fehlen wie Regionales der Literaturgruppe „Schreib's auf“ aus Neukirchen. Internationale Projekte wie der Friedensgarten am Wildkogel werden ebenfalls weitergeführt. Zu den Initiativen im Jubiläumsjahr 2016 gehört auch die Zusammenarbeit mit dem Künstlersymposion ORTung in Stuhlfelden.