Zwischen Mali und Martinique
SNOW JAZZ GASTEIN / ABSCHLUSS
22/03/10 Paris und Frankreich waren durch ihre ehemaligen Kolonien immer schon eine Drehscheibe für Künstler aus jenen Ländern. - Aus dem reichen Konzertabgebot der letzten Festival-Tage im Gasteinertal.
Von Thomas Hein
Die Snow-Jazz-Konzerte in der evangelischen Christophoruskirche zählen immer zu den außergewöhnlichsten im Programm. Am Donnerstag (18.3.) hinterließ der aus Paris stammende Weltbürger Noël Akchoté neben vielen überraschten und begeisterten Zuhörern auch große Ratlosigkeit. Wenn man die rasanten Soli der jungen Gitarristen von „Les Doigts de’l Homme“ am Tag zuvor als Vergleich heranzieht, kann man die Reaktionen verstehen: Noël Akchoté geht spielerisch an die Grenzen des Instruments und lotet sämtliche Möglichkeiten zwischen Griffbrett und Korpus, aber auch den Klangraum und die Geräuschfelder zwischen den beiden Fender-Verstärkern aus. Melodien und Songs, darunter auch jenen der Pop-Ikone Kyle Minogue wie etwa das Chart taugliche „I Should Be So Lucky“ erscheinen nur als Fragmente und Akchotés Bluesakkorde suchen als monumentale Wegsteine sperrig ihren Platz im Kirchenraum: Ein Gitarrenkonzert sieht - und hört sich - sonst eben ganz anders an. Surrende Verstärker, ein Abbruchsgrund für fast alle anderen Kollegen, sind hier ein gewünschter - und geplanter - Effekt, die dosierten Schläge auf den Gitarrenhals erzeugen einen tiefen glockenähnlichen Klang.
Geräusche, sparsame Töne in allen Lautstärken, Verzerrungen, umgestimmte Saiten, mit Noël Akchoté begibt man sich als Zuhörer auf schwankendes Terrain, bei dem Hörgewohnheiten von Jazzfans schon einmal geopfert werden müssen um dem Experiment zu folgen.
Speziell die Vermischung afrikanischer Musik mit anderen Genres hat Paris - neben London - zum Zentrum afrikanischer Kunst und Kultur in Europa gemacht. Die aus Martinique stammende Sängerin Valérie Louri sorgte am Freitag (19.3.) im Sägewerk für ausgelassene Feier-Stimmung und überzeugte mit ihrer Stimme ebenso wie mit ihrer charmanten Conference, mit großer Bühnenpräsenz und als ihre Band steuernde Leaderin.
Wenn man eine ähnlich konzipierte Musikmelange etwa vom Orchestra Baobab, Habib Koité oder Youssou N’Dour auf höchstem Niveau kennt, ihre repetierenden und soghaften Rhythmus- und Melodiefiguren schätzt, mit denen sie ihre Geschichten erzählen, fallen auch die Unterschiede stärker ins Auge. Wo sich die Systeme stark ähneln und die Wanderströme der afrikanischen Musik nach Kuba durchaus hörbar sind, sorgt das solistische Können für die Glanzlichter im faszinierenden Strom der afrikanischen Musik. In diesem Bereich liegt ein gewisses Manko von Louris (Tour)band, die kurzen Einwürfe, von Gitarre über Violine bis zum Perkussionisten konnten nicht überzeugen, allein Bassist Stéphane Castry zeigte seine Möglichkeiten auf. Das künstlerische Potential von Valérie Louri ist in jeder Hinsicht vorhanden, um ihre afrikanischen Chansons samt deren folkloristischen Wurzeln ins 21. Jahrhundert zu transportieren, müssen aber noch zahlreiche musikalische Aufgaben gelöst werden. Trotzdem, eben wegen der Sängerin ein mitreißender Abend.
"Snow Jazz Gastein" ist am Sonntag (21.3.) mit einem Auftritt des Multi-Instrumentalisten Michel Portal /Bassklarinette, Saxophon, Bandoneon) gemeinsam mit dem Pianisten Jacky Terrasson zu Ende gegangen. Ebenfalls am Abschlusstag war zur Vormittagsstunde Harry Stojka zu Gast, und am Samstag (20.3.) gab es einen Auftritt von aus Mali stammenden Mandinka-Musiker Lansiné Kouyaté gemeinsam mit David Neerman Quartet. "Entspannte Afro Beets" waren angesagt. Beim Balafon befinden sich Klangplatten aus Guéni-Holz über Resonanzkörpern aus Kürbis-Kalebassen. Diese naturverbundene Konstruktion führt zu einem archaisch anmutenden Afro-Sound. Dieser Sound kontrastiert reizvoll den hart-metallischen, manchmal sphärisch-schwebenden Neuzeitklang von David Neermans Vibraphon.