Große Emotion fein dosiert
MATTSEER DIABELLI SOMMER / ERÖFFNUNG
01/06/12 Internationale Veranstalter „buchen“ namhafte Künstler lieber mit bekannten Werken. Nur zu. Dafür ist der Mattseer Diabelli Sommer etwa für die Mitglieder des Hagen Quartettes eine „Oase im Tournee- und Unterrichtsbetrieb“ - wo seltenere Pretiosen, wie das Dvorák-Streichquintett mit Kontrabass, umso heller funkeln.
Von Heidemarie Klabacher
Mattsee ist nicht nur für die Künstler, sondern auch für das Publikum eine Oase im Konzertbetrieb. Allein der Kirchplatz unter der Linde als Pausenraum! Aber nicht nur atmosphärisch ist der Mattseer Diabelli Sommer eine Besonderheit in der Festival-Landschaft. Unter der künstlerischen Leitung von Gottfried Franz Kasparek entwickelt sich seit Jahren ein dramaturgisch feines, vom Angebot her gar nicht so kleines Festival. Um all diese musikalischen Schätze - Michael Haydns Requiem und Motetten oder Sergej Tanejew Streichquintett oder Violinduos von Ligeti - sonstwo zu hören, müsste man schon mehrere Festivals abklappern…
Jede Phrase eine Melodie, versprach Lukas Hagen bei der Programmpräsentation. Da war der Sommer noch weit. Gestern Donnerstag (31.5.) wurde der Mattseer Diabelli Sommer in der Stiftskirche mit Antonin Dvoraks Streichquintett Nr. 2 G-Dur op. 77 eröffnet. Und tatsächlich war die Wiedergabe von Lukas Hagen, Bogdan Bozovic (Violinen), Iris Juda-Hagen (Viola), Giovanni Gnocchi (Cello) und Sepp Radauer (Kontrabass) ein einziges Schwelgen in unendlich vielen und vielfältigen Melodien. Was war das für ein Aufschwung allein zu Beginn des ersten Satzes: ein einziges lustvoll ausgespieltes Aufblühen vom suchend und fragend herumgereichten Anfangsmotiv, das - Schwung in sich selber findend - zum fetzigen Walzer aufrauscht.
Freilich sind bei aller Opulenz in Dvoráks op. 77 Momente des Unheimlichen nicht weit. Das können Visionen von vorüberhuschenden Elfen oder im Mondlicht lockenden Nixen (Rusalka?) genauso gut sein, wie ein bedrohliches Pochen des Kontrabasses, das aus den Tiefen der Erde zu kommen scheint. Die in der Apsis der Stiftkirche Mattsee zusammengekommen Künstler haben jeden dieser vielfältigen Stimmungswechsel akribisch und facettenreich gestaltet – ohne je ihren vorwärts drängenden Schwung zu verlieren. Das Scherzo wurde in dieser Lesart ein bockiger Volkstanz, der nach dem gesanglichen Mittelteil einen kräftigen Touch des Symphonischen angenommen hat.
Nach der Pause unter dem Lindenbaum vor der Stiftskirche folgte das Streichsextett Nr. 2 G-Dur op. 36 von Johannes Brahms, für das Firmian Lermer (Viola) und Harriet Krijgh (Cello) zur Runde traten. Zwischen Schubert’schen Wanderer-Phantasien und Wagner’schem Waldweben changiert dieses großformatige Werk, in dem Brahms seine Liebe zu den beiden Frauen seines Lebens – Clara Schumann und Agathe von Siebold - unsterblich gemacht hat. Auch diese Wiedergabe war ebenso klangsinnlich wie transparent: Schier unglaublich, wie durchhörbar sich ein derart opulenter Brahms im Sakralraum musizieren lässt. Ein stimmungsvoller Auftakt zum Mattseer Diabelli Sommer 2012, eines der Konzerte, die man in Erinnerung behält.