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Bestrickend

REPORTAGE / KULTURKREIS DAS ZENTRUM RADSTADT / STRICKEN

28/10/11 Ferse als Schwachstelle. Das war schon in der Antike so und hat sich seither nicht geändert. Beim Sockenstricken macht die Ferse besonders gern Probleme. „Schau auf Youtube. Da gibt es eine, die erklärt das ganz genau, direkt zum Mitstricken. Außerdem hat sie so eine angenehme Stimme.“ Und wenn es zu schnell geht, kann man das Video einfach anhalten.

Von Heidemarie Klabacher

altArsen und Spitzenhäubchen fallen einem zu „stricken“ noch eher ein, als Internet und Trachtensocken - was aber nur zeigt, dass man nicht informiert ist. Die Damen im Radstädter Strickkreis sind jedenfalls strick- und computertechnisch auf der Höhe der Zeit.

Man traut sich zunächst nur zögerlich hinein, mit seinem (vor Jahren) angefangenen Fäustling, der in der heiteren Atmosphäre aber erstaunlich schnell der Spitze zustrebt. Eine verständnisvolle Dame hat beim Daumen eingegriffen: DrehPunktKultur beim Lokalaugenschein. 

Seit einem Jahr wird in Radstadt gestrickt und gehäkelt - in lustiger Runde auf allen Niveaus zweimal im Monat in der Stadtbibliothek im Zeughaus am Turm. Sogar den öffentlichen Raum, den Margarete-Schütte Lihotzky-Platz vor dem Stadtturm, haben die Damen schon „eingestrickt“: bei einer „Guerillera“-Strickaktion im Frühjahr. Noch jetzt hängen, Gebetsfahnen gleich, bunte Strickfleckerl quer über den Platz. Bäume wurden ebenso umgarnt, wie Möbelstücke.

altDer umhäkelte Tisch im Foyer erinnert ebenfalls an diese Aktion - und daran, dass man mit friedlichen Mitteln wirkungsvolle Zeichen setzen kann. Nicht immer geht es so politisch her im Strickkreis, nicht immer werden abstrakte Friedenszeichen ge- und Tische umstrickt. Socken, Jacken oder Ponchos entstehen natürlich auch. Eine Besonderheit - sogar für die Expertinnen - ist an diesem Tag das Kaffeegeschirr samt Keksen und Strick-Torte.

Inspiriert zum Strickprojekt habe sie eine Freundin, die ein Jahr lang in Stockholm gelebt hat, erzählt Elisabeth Schneider, die Mitbegründerin und Leiterin des Kulturkreises „Das Zentrum Radstadt“. „Ganz Stockholm strickt. In den großen Städten ist das überhaupt der Boom. Strickrunden gibt es in Museen und Cafes.“ Und da habe sie eben ausprobieren wollen, „ob das in Radstadt auch geht“.

altStricken ist ja tatsächlich „in“: „Es gibt auch genug Burschen, die sich ihre Hauben für das Snowboarden selber machen“, konnte man erst jüngst in einem Artikel über ein neues Handarbeitsgeschäft in Hallein auf einer Wirtschaftsseite lesen. Auch vom Smoothie-Hersteller innocent war da die Rede, der zum „Großen Stricken“ aufgerufen hat, und seine Saft-Flascherl Ende November mit Strick-Hauberl ins Kühlregal stellen wird. 56.000 Mützen seien bei der Benefizaktion im Vorjahr zusammen gekommen. Und im Gefängnis Würzburg haben die Frauen einen gut zwei Kilometer langen Schal gestrickt, dessen gut zweitausend Einzelteile an Sozialeinrichtungen gehen. Gestrickt wird also überall.

In Radstadt treffen sich auf Initiative von Elisabeth Schneider nun seit einem Jahr zehn bis fünfzehn Frauen „jüngere und ältere“ zweimal im Monat: „Es ist extrem lustig! Da begegnen sich absolute Expertinnen beim Modelstutzen- oder Norwegermuster-Stricken und solche, die sich noch nie eine Haube selber gestrickt haben. Eine tolle Atmosphäre. Wir haben keine ‚Kursleiterin’, niemanden, der Anleitungen gibt. Es passiert alles untereinander und miteinander. Am Ende hat auch die Anfängerin eine Haube, die passt.“

altStimmt. Auch ein Greenhorn braucht keine Hemmungen zu haben. Hilfe geleistet wird elegant, wie nebenbei. Der  Schafswollfäustling nimmt sich neben dem Trachtenstutzen ein wenig handfest aus, aber dass lässt man ihn nicht spüren.

„Jede bringt Hefte oder Musterbücher mit. Großzügigkeit herrscht im Weitergeben von Wissen, etwa wie man Model strickt oder Fersen.“ So Elisabeth Schneider, die sich an diesem Nachmittag selber „irgendwo ver-strickt“ und nach Rücksprache mit einer Expertin mit ihrem künftigen Poncho neu anfängt: in einem Muster, das besser zu der feinfasrigen Mohairwolle passt.

alt„In der Volksschule machen die Kinder keine wirklichen Produkte mehr, nur mehr Musterfleckerl.“ So ein Strickkreis hilft also auch, Wissen und Fertigkeiten zu bewahren und weiterzugeben. Interessant sei, so Elisabeth Schneider „dass das gemeinsame Stricken in den Städten so en vouge ist, und es am Land relativ lang dauert, bis solche Runden entstehen“.

Ihr seien daher gemeinsame Strickprojekte - wie etwa das mit den Gebetsfahnen - ein großes Anliegen. Ein Workshop mit der Künstlerin Barbara Bernsteiner, die ebenfalls Objekte umstrickt, stehe ins Haus. „Die Frauen sind total auf Zack. Wenn sich die erste Aufregung um die neuen Muster gelegt hat, entstehen in jeder Runde interessante Gespräche. Da kommen wir mit Frauen in Kontakt, die wir sonst nicht kennen gelernt hätten.“ Die Strickerinnen kommen nicht nur aus Radstadt, sondern auch aus der Umgebung, aus Flachau, Pfarrwerfen, sogar aus Abtenau zusammen. Gelegentlich habe sich auch schon ein Bursche eingefunden.

„handmade by“ ist das diesjährige Motto der Treffen. Elisabeth Schneider versteht das Strickprojekt über das kommunikativ-handwerkliche hinaus auch als „eine Idee zur Förderung der Kultur der Eigeninitiative als Gegenpol zu Konsumwahn und globalisierter Massenware“.

www.daszentrum.at
Bilder: dpk-klaba

 

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