Immer jünger und sehr europäisch
HINTERGRUND / JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
22/08/17 „Innovation ist sicherlich keine Frage der Geographie“, sagt Mario Steidl, der künstlerische Leiter des am Donnerstag (24.8.) beginnenden Jazzfestival Saalfelden. „Die Geschichte des Festivals bzw. Programmierung war immer sehr eng verbunden mit USA“, aber heuer geht es eher um europäische Perspektiven.
„Im Lauf der Jazzgeschichte haben sich immer wieder Szenen herauskristallisiert, die den Begriff des Jazz erweiterten, die neue Stilformen innerhalb der improvisierten Musik entwickelten“, erklärt Steidl, der das festival gemeinsam mit Michaela Mayer programmiert. Er nennt kreative Zentren wie etwa das Chicago der 1960er Jahre mit der Gründung der AACM-Kooperative, bis hin zur New Yorker Downtown-Szene ab den 1980er Jahren.
„In der folgenden Zeit rückte immer stärker das Thema einer eigenständigen europäischen Szene in den Fokus, die verschiedene neue Impulse generierten: sei es mit einer Annäherung an die zeitgenössische, komponierte oder elektronische Avantgarde, sei es in einer neuen Reflexion folkloristischer Tendenzen.“ Mario Steidl verweist in diesem Zusammenhang auf die „Imaginäre Folklore“ aus Frankreich, eine eigene Stilform zwischen freier Improvisation, neuen Kompositionsmethoden sowie einem Rückgriff auf die Musiktradition des Landes hervor.
„Den Improvisationsmustern des afro-amerikanisch geprägten Jazz standen jetzt andere Herkunftslinien der Improvisation entgegen, die eine jahrhundertealte europäische Tradition der Improvisation wieder aufgriff.“ Eine Tradition, so erklärt Steidl, die in unseren Landen „mit der Zeit zunehmender Konzentration auf notengetreue Interpretation verschwunden“ sei.
Bei der Programmierung des diesjährigen Festivals(von 24. bis 27. August) sei die geographische Sicht keineswegs am Anfang gestanden. Sie sollte nach Meinung des Jazzfestival-Leiters generell keine Rolle spielen in Saalfelden: „Schließlich ist die Offenheit gegenüber neuen, kreativen Tendenzen oder einzelnen, unkonventionellen Projekte der Wesenskern dieses Festivals. Und das ist er immer schon gewesen.“ Erst bei der Auswahl der Bands, deren Projekte besonders kreative, neue Ansätze realisieren, habe sich der diesjährige Schwerpunkt Europa ergeben.
Etwa mit Sinikka Langeland, die das Moment der Improvisation aus der Folk-Tradition Norwegens ableitet, oder mit dem Saxophonisten Moster, der die Formenspiel edes britischen Progressive Rock aufgreift und in eine unerwartet emphatische, jazzspezifische Spielweise überführt.
Mit dem Eröffnungskonzert von Gerald Preinfalk ist schon ein Zeichen für das Ausgreifen auf andere Musikkulturen gesetzt: „Ein Netz voller Bezüge auf verschiedene Traditionen, Stile und Ansätze, das nichts mit dem Begriff 'Weltmusik' und seiner Synthesenbildung zu tun hat“, wie Steidl es ausdrückt.
Die österreichische Szene werde immer wichtiger: „Vier Konzerte auf der Hauptbühne hat es noch gar nie gegeben“, betont Steidl. Verschiedene Generationen – Wolfgang Puschnig holt seine Einladung zu seinem sechziger nach. Die Band Weiße Wände wird zehn Jahre alt, „wir haben beschlossen, dass solch ein innovatives Improprojekt einmal auf eine große Bühne in Österreich gehört“.
„Neben dem Schwerpunkt 'neue Tendenzen im europäischen Jazz' geht es uns wie immer auch darum, die Grenzen des Jazz auszuloten.“. Grenzen würden ja gerade dazu einladen, diese zu überschreiten, wenn das benachbarte Terrain Impulse für die Weiterentwicklung der eigenen Ideen liefern kann. „Wir sehen dieses Grenzverschiebung etwa beim Duo Sax Ruins, wo Punk, freie Improvisation und komplexe Strukturen einander nicht ausschließen.“ Beim Trio The Necks freut sich Mario Steidl auf „trancehafte Minimalismus-Figuren aus improvisierten Motiven“ und der Saxophonist Steve Lehmann wiederum reichere „das Prinzip Improvisation mit musikalischen Mustern aus der Rap- und HipHop-Szene an“. Kjetil Moster führe Jazz und Progressive Rock zusammen und 5K HD zeigten Improvisation gepaart mit Postrock und Pop.
Was Mario Steidl auch wichtig erscheint: „Heuer wird deutlicher als je zuvor sichtbar, dass wir auf die ganz großen Namen bewusst verzichtet haben, weil wir einfach nicht ins Museale abgleiten wollen und es auch als unsere Verantwortung sehen, Musiker zu präsentieren, die die möglicherweise großen Namen von morgen sein werden oder dies heute schon sind.“ Der Altersschnitt der Auftretenden habe sich deutlich nach unten bewegt.
Steidl verweist auch auf einen „Frauenanteil von 20 Prozent, der kaum auf Festivals zu finden“ sei.
38. Jazzfestival Saalfelden von 24. bis 27. August. Für Stundierende gibt es ein neues Angebot: einen Dreitages-Pass um 55 Euro (Kategorie D inkl. Camping), mit Schlafplatz im Hostel um 142 Euro – www.jazzsaalfelden.com
Bilder: Nexus (2); Jazzfestival Saalfelden (1)