Auch schwule Schuhplattler tragen Tracht
FILM / STOFF DER HEIMAT
22/03/12 „Unbelievable“, sagt angesichts der Krachledernen ein Fremder, Stimme aus dem Hintergrund, im Vorspann. Ja, unglaublich. Der Salzburger Dokumentarfilmer Othmar Schmiderer hat sich für einen abendfüllenden Film dem Phänomen Tracht auf die Spur gesetzt. Der Streifen wird heute, Donnerstag (22.3.) bei der Diagonale in Graz gezeigt.
Von Reinhard Kriechbaum
Meine absoluten Lieblinge in dieser Doku kommen aus Bayern und sind Schuhplattler. Schwule Schuhplattler. Bei solchen Dingen kann einem kein Vereinsobmann weiterhelfen, sagt einer mit Bierernst in der Stimme. Favorit Nummer zwei ist stofflicher Natur. Das Kimono-Dirndl, älplerisch-zeitgeistige Modeschöpfung mit dem Touch „einer Geisha“, was immer das signalisieren soll. Mit einem klassischen Dirndl-Dekolletée erreicht man vermutlich eine vergleichbare Anmutung.
Tracht, „Stoff der Heimat“ - wie geht man ein solches Thema an? Am besten wohl, indem man sich zwischen alle Stühle setzt. Othmar Schmiderer sitzt kommod dazwischen. Die „echten“ Trachtenträger, für die das Gewand ein Stoff gewordenes Heimat-, geschichts- und damit politisches Symbol ist, werden nicht so gern sehen, dass der Filmemacher gerade in einer der ersten Szenen gerade hinter die natur-trachtbraunen Kärntner die Burschenschafter hineingeschnitten hat. Andere werden sich ärgern über Marlene Streeruwitz, die mit todernster Humorlosigkeit meint, am besten wäre es doch, jedem Migranten, jeder Migrantin ein Dirndl zu überreichen und sie zu einem gemeinsamen Fest einzuladen. Dass Polit-Trachtler die Haare aufstellen, wenn die Salzburger Volkskundlerin Ulrike Kammerhofer den Umgang mit der Tracht von der Hitlerzeit bis zu den „österreichischen“ Heimatfilmen der nachkriegsjahre und zur Rolle der Trachtenverbände aufschlüsselt, nüchtern und sachlich kompetent, ist gerade hierzulande bestens bekannt. Und wie denken die „Traditionshüter“ erst über die „neuen“ Trachtenträger, die Modedesigner und Fashionists?
Es macht schmunzeln, wenn Schützen ihre kollektiven Kommandos einüben und einem jeden von ihnen die Konzentration, die intellektuelle Beanspruchung ins Gesicht geschrieben steht. Da wäre es leicht, einen Film zu machen, der die Tracht-Träger politisch und allgemein geistig in ein bestimmtes Eck rückt und dort unter Häme der ideologisch Rechtgläubigen stehen lässt. Gerade das tut Othmar Schmiderer aber nicht. Er ertappt auch bei einem Trachtenfest junge Musliminnen, die zum Dirndl Kopftuch tragen und wenig dabei finden, im Gegenteil: Sie sind stolz drauf, hier ihr kulturelles Janusgesicht zur Schau zu stellen zu können.
Schmiderer spürt auch den Trachtenerzeugern à la Tostmann und Gössl auf den Zahn., Er lässt die Kastelruther Spatzen zu Wort kommen. Wiener Kathreintanz im Ambiente der Fin-de-Siècle-Ballkultur ist wieder eine andere Spielart folkloristischer Popkultur. Und der Almdudler-Ball im Wiener Rathaus trägt hippe, schrille Züge. Nichts von alledem scheint zum anderen zu passen, aber verbindend ist: Tracht ist, wie man sie auch bewahrt, zur Schau stellt, umgestaltet, verfremdet, ein Ausdruck von Lebensart, von Gruppendenken und Gruppenzwang – und damit die stoffliche Ausprägung von Ideologie.
94 Filmminuten sind viel Zeit, um das zu zeigen. Othmar Schmiderer setzt auf lange, unkommentierte Sequenzen, lässt dann die jeweiligen Protagonisten auch ohne Eile zu Wort kommen. Die Schweizer Bundespräsidentin Doris Leuthart hat er gefilmt, sie sieht ganz schnuggelig aus in ihrem trachtigen Outfit. Gabi Burgstaller gesteht, dass sie es sich schon deri Mal überlegt, bevor sie in eine Tracht schlüpft (eben wegen ihrer und des Gewandes unterschiedlichen politischen Vorbelastung). Ihr Landeshauptmann-Kollege Erwin Pröll versichert mit dem Brustton der Volksverbundenheit: „Tracht ist mit Sicherheit eine Antwort auf die Globalisierung.“ So sehen das die Tiroler Schützen auch, von denen einer sagt: „Tracht ist auch Ausdruck einer inneren Gesinnung.“ Ein Schelm, wer da auf seine Weise weiterdenkt.
Miguel Herz-Kestranek ist Trachten-Botschafter. Aber was für eine Botschaft! Ihm geht es um die jüdische Komponente, um seine Vorfahren als Tracht-Träger, die von den Angehörigen der nationalsozialistischen Leitkultur erst ihrer Joppen und alsbald ihres Lebens beraubt worden sind. Dass Salzburg gerade wegen der Festspiele eine Hochburg dieses jüdischen „Trachtenwesens“ war, dass man hier auch schneller und entschiedener das Trachten-Trageverbot für Juden durchgesetzt hat: In der Erzählung von Herz-Kestranek klingt Familienerinnerung mit.
Othmar Schmiderers Streifen dient der politischen Bewusstmachung, nicht dem ideologischen Verurteilen. Und dem Vorverurteilen schon gar nicht. Er wird genau deshalb nicht nur aus dem Eck derTrachten-Hardliner keine Standing Ovations bekommen. Auch das ist gut so.