Die Qual des Bleibens und des Gehens
IM KINO / NADER & SIMIN – EINE TRENNUNG
27/02/12 Trennungen sind immer schmerzhaft. Für die Beteiligten ebenso wie für die Kinder und Angehörigen. Und nicht selten haben sie auch weit reichende, unkalkulierbare Folgen. Von solch einer Trennung erzählt auch der iranische Film „Nader & Simin – Eine Trennung“ von Asghar Farhadi. Der Film wurde nun mit dem Auslands-Oscar ausgezeichnet.
Von Andreas Öttl
Die progressive Simin will die Scheidung von ihrem eher traditionell eingestellten Ehemann Nader wenn dieser nicht bereit ist, mit ihr den Iran zu verlassen. Dieser möchte jedoch nicht emigrieren, da sein an Alzheimer erkrankter Vater auf fremde Hilfe angewiesen ist. Trotz der gemeinsamen Tochter hält sie an ihrem Entschluss fest und verlässt ihren Mann. Diese Entscheidung hat fatale Konsequenzen, die sämtliche Charaktere vor eine schwere Herausforderung stellt...
Dies ist die Ausgangsituation für ein enorm vielschichtiges, moralisch komplexes Drama, bei dem die Ehekrise bald zugunsten von Themen wie Schuld und Gerechtigkeit in den Hintergrund tritt. Darüber hinaus wird die zentrale Frage nach der eigentlichen Definition von Wahrheit gestellt.
Der schnörkellos und realistisch inszenierte Film vertraut einzig und allein auf die starken, dreidimensionalen Charaktere und das erstklassige Drehbuch. Es hat immer wieder neue Wendungen parat, die einem zuweilen den Atem stocken lassen. Auf musikalische Untermalung und sonstige „emotionsfördernde Hilfsmittel“ verzichtet Regisseur Asghar Farhadi komplett. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – geht einem der Film ungemein nahe. So nahe, dass es beinahe weh tut. Obwohl der Film in einem für uns fernen Land spielt, so sind uns die Figuren und ihre charakterlichen Schwächen doch viel näher als wir uns gerne eingestehen möchten.
Trotz dieser Universalität der Geschichte wird aber auch die Lage im modernen Irak thematisiert – wenn auch aufgrund der strengen Zensurvorschriften im Land auf eine sehr subtile Weise. Fast alle Szenen spielen in engen Wohnräumen, in überfüllten Amtsgebäuden und in Autos inmitten des hektischen Straßenverkehrs von Teheran. Es entsteht ein beklemmendes Gefühl der Bedrohung, welches dazu führt, dass man als Zuschauer am liebsten selbst diese quälende Situation verlassen möchte. Nach und nach wird so – ohne dass dies explizit erklärt wird – auch deutlich gemacht, weshalb die Protagonistin überhaupt den Traum von einer besseren Welt hat.
„Nader & Simin“ – nach dem Goldenen Bären soeben mit dem Auslands-Oscar ausgezeichnet – ist ein brillant konstruierter Film über die komplexe Natur des Menschen, der zugleich viel über das Leben im heutigen Iran aussagt. Er ist nicht nur jetzt „offiziell“ der beste fremdsprachige Film des Jahres, sondern überhaupt einer der herausragenden Filme der letzten Zeit. Selbst ein bemühter und sympathischer, aber letztendlich pseudo-realistischer Film wie „The Descendants“ verblasst daneben.
Ob solch vollendeter Einheit von Spannung und Substanz käme man gar in Versuchung, das in der Filmkritik mittlerweile inflationär verwendete M-Wort zu verwenden. Doch „Nader & Simin – Eine Trennung“ hat solche Labels gar nicht erst nötig: Er ist mehr als ein Meisterwerk.