Wolken über dem Paradies
NEU IM KINO / THE DESCENDANTS
27/01/12 Ausgerechnet George Clooney als einer von Alexander Paynes Durchschnittsmenschen mit in Schräglage geratener Lebenswelt? Die „Ahnenreihe“ ist illuster, folgt Clooney doch Matthew Broderick aus „Election“, Jack Nicholsons aus „About Schmidt“ oder Paul Giamatti aus „Sideways“. Und nun soll auch der Mann, dem ungestraft Klaviere auf den Kopf fallen können, Sorgen haben? George Clooney macht das gar nicht so schlecht.
Heidemarie Klabacher
Mit dem geradezu sympathisch altmodischen Stilmittel des inneren Monologes eines gewichtig nachdenkenden Helden führt Regisseur Alexander Payne seinen Hauptdarsteller ein: Matt King, erfolgreicher Anwalt und als Nachfahre der ehemaligen „Königsfamilie“ von Hawaii Treuhänder eines unendlich wertvollen Stücks Natur, hat tatsächlich einiges zu denken: Die Traumbucht der Ahnen soll im Auftrag des Familienclans meistbietend verscherbelt werden. Die Ehefrau liegt nach einem Bootsunfall im Koma.
„Familie und andere Angelegenheiten“. Für wahr. Zuletzt miteinander gesprochen hat man drei Tage vor dem Umfall, und auch sonst nicht mehr viel. Die beiden Töchter, Zehn und Siebzehn, kennt er vom Sehen. Wenn Elizabeth (Patricia Hastie) wieder aufwacht, schwört er sich, soll alles anders werden.
Es wird alles anders werden. Elizabeth wird nicht mehr aufwachen. Ihre Patientenverfügung schreibt das Abschalten der Geräte vor. Matt besinnt sich auf seine Vaterrolle, holt zusammen mit der trotzigen jüngeren Tochter Scottie (Amara Miller) die größere zufällig gerade betrunkene Tochter (Shailene Woodley) aus dem Internat - und hat ein Problem. Die beiden zicken. Die Kleine aus Trauer und Sorge um, die Große aus Zorn auf die Mutter: Ob er denn nicht weiß, dass sie ihn betrogen hat, wirft Alexandra ihrem Vater an den Kopf.
Und schon hat Matt noch ein Problem: Wie rechnet ein betrogener Ehemann mit einer Ehefrau ab, die im Koma liegt? Und vor allem: Wer ist der Kerl? Aufklärung holt Matt sich bei den besten Freunden in der Nachbarvilla - nach einem gehoppelten Sprint in schlappenden Badeschuhen: Eine Szene, in der Beau Clooney sich aller Eitelkeit entschlägt. In einer weiteren Szene, die an Tragik und Komik kaum zu überbieten ist, macht Matt seiner sterbenden Frau eine Szene...
Und es regnet dazu. Es stürmt und die Wolken hängen grau herab. Regisseur Alexander Payne hält sich mit Prospektaufnahmen aus dem Paradies zurück. Es wirkt fast ein wenig bemüht, wie die Kamera fast ausschließlich alltägliche Szenarien, etwa Villen und Straßen die - fast - überall sein könnten, in den Blick nimmt. Die tropische Fauna freilich lässt sich nicht ausblenden. Man ist und bleibt im Paradies - und ein Stück dieses aradieses soll endlich verkauft werden. Daran ändern die privaten Sorgen nichts. Hauptinteressent: Der Lover der Sterbenden.
Die Figuren sind aufgestellt. Alle nur erdenklichen Klischees von Ehekrise und Generationskonflikt bis Ökologie und Naturerbebewahrung stehen parat. Und das ganze auf Hawaii. Und es wird kein Kitsch. Die Handlung schlägt immer wieder derart überraschende Volten, tragisch und urkomisch zugleich, dass man mit echter Spannung dranbleibt. Pathos - ja schon. Aber bevor es zuviel wird, macht jemand die passebd unpassende Bemerkung.
So sehr George Clooney den Streifen dominiert, so brillant sind die weiteren Darsteller: Vor allem Shailene Woodley als Tochter Alexandra bietet sowohl dem Vater als auch dessen Darsteller hinreißendes Paroli. Man rauft sich zusammen, man macht sich gemeinsam daran, den Lover aufzuspüren - um ihn zur Schnecke zu machen, aber auch um ihm zu sagen, dass Elizabeth sterben wird. Freilich nicht er, sondern dessen Frau wird ins Krankenhaus kommen... Immer dabei ist Sid (Nick Krause), den Alexandra zur Unterstützung mitgebracht hat. Mit seinen ebenso wahren wie unpassenden Kommentaren reinigt er immer wieder wohltuend die Atmosphäre.
Die zahlreichen Cousins in ihren Bermuda-Shorts und Hawaii-Hemden (auch George Clooney ist so gewandet, nur die Blumenmuster sind ein wenig kleiner) sind eine scheinbar gemütliche Versammlung von Originalen (darunter Beau Bridges als geschwätziger und trinkfreudiger Cousin Hugh). Robert Forster als Matts Schwiegervater lasst auch mal die Fäuste sprechen. Familienangelegenheiten eben, wie sie fast jeder kennt.