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Ein Joint, um die Geriatrie zu vergessen

NEU IM KINO / "ANFANG ACHTZIG"

30/12/11 Mit einer schallenden Ohrfeige beginnt es: Adressatin ist eine Röntgenassistentin. Sie hat mit einer Kollegin getratscht und die im Nachthemd dastehende Patientin einfach warten lassen. Mit Rosa macht man so etwas nicht. Die Dame mag hinfällig wirken, aber sie ist ungebrochen selbstbewusst!

Von Reinhard Kriechbaum

alt"Damit sie mich nicht mehr vergessen", sagt Rosa ins klatschende Geräusch hinein. Zum Warten hat sie nämlich jetzt keine Zeit mehr, und die Zeit ist tatsächlich knapp: Rosa hat eine vernichtende Krebsdiagnose bekommen. Bestenfalls ein halbes Jahr habe sie noch zu leben, heißt es. Sie setzt durch, dass sie aus dem Krankenhaus entlassen wird und steuert zielstrebig ihr Zuhause an. Doch die Wohnung ist schon anderweitig vermietet…

Mit verheulten Augen steht Rosa vor der Haustür - und gerade da kommt Bruno des Wegs, zeigt Anteilnahme, steigt mit Rosa in den Bus ein. Beginn einer Romanze, die nicht viel anders beginnt als bei ganz jungen Leuten. Doch "Anfang Achtzig"? Da ist Liebe, körperliche Liebe gar, ein Tabu-Thema. Romeo und Julia im Altersheim, und ein verheirateter Romeo gar, der törichte Ausreden erfindet, um sich tagsüber zu unbeobachteten Stunden zu verhelfen? Das Verständnis der Familie hält sich in Grenzen. Sie habe immer gefürchtet, einmal allein übrig zu sein, sagt die Ehefrau, "aber so?"

altEin kleines Wunden von einem Film, weil alles so schön zusammenspielt in "Anfang Achtzig": Da werden die Problemthemen im Leben Hochbetagter mutig aufgegriffen und doch mit einem heiter-burlesken Unterton gewürzt. Der Grat zwischen Lachen und Weinen ist schmal und scharfgratig. Zwei Menschen, die sich nicht abfinden wollen mit ihrer vermeintlichen Hilflosigkeit, stürzen sich in geradezu kindlichem Vertrauen aufeinander in eine Romanze. Sie wagen einen Neustart in neuen, eigenen vier Wänden. Beide bürden dem jeweils anderen gar nicht wenig Verantwortung auf. Für Bruno bedeutet diese neue "Geliebte" ja auch: einen Haushalt führen, die Pflege einer Sterbenden übernehmen. Und sie ist sich der Endlichkeit, der Verantwortung für den tatsächlichen "Lebensabschnittspartner" ebenso bewusst. Das ist gemeinhin nicht der Stoff, aus dem leichtfüßige Komödien wachsen.

Zwei wunderbare Schauspieler tragen durch diesen leisen, intensiven Film: Christine Ostermayer ist Rosa, eine zerbrechliche Frau mit Eigen-Sinn und Charme. Sie hat Charisma, kann unbeugsam sein und braucht doch mehr als eine Hand, braucht liebevolle Blicke. Karl Merkatz ist dieser unendlich feinfühlende, abgeklärt-optimistische, lebensweise Bruno. Ein Positiv-Philosoph bis zur Selbstverleugnung - und gerade eben in diesem Punkt das Alter Ego von Rosa. Zwei Menschen, die sich leider um mindestens sechzig Jahre zu spät über den Weg gelaufen sind.

altDie Berührungspunkte mit der "normalen" Welt laufen im günstigen Fall auf bizarr-humoristische Situationen, im (immer öfter) negativen Fall auf ruinöse Konfrontation hinaus. Da bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Und doch: Ein Schmunzeln wird man nicht unterdrücken können, wenn zu Rosa und Bruno dessen alten Freund Karl (Branko Samarovsky) und die drei einen Joint inhalieren. Ja, bitte nicht vergessen: Die Generation der Pflegebedürftigen waren in den Achtundsechzigern die Blumenkinder!

Sabine Hiebler und Gerhard Ertl haben das Script geschrieben und gemeinsam Regie geführt. Esd hat unglaublich viel Stil, wie sie die alten Leutlein miteinander umgehen lassen, und die beiden jungen Filmemacher flunkern uns nicht vor, dass sie irgendwelche Lösungsvorschläge hätten: Ihr Plädoyer geht ganz entschieden in Richtung Sympathie, Zutrauen, und vor allem: Würde und Selbstbestimmung.

Müsste Euthanasie, Beihilfe zum Suizid, nicht gerade in einem solchen Film tabu bleiben? Es war interessant, den beiden Hauptdarstellern vor zwei Wochen anlässlich der Vorpremiere im Salzburger Filmkulturzentrum "Das Kino" zuzuhören. Sie haben ja genau das Alter, und beide mögen gelegentlich mit leiser Gänsehaut diese Rollen gespielt haben. Aber zum Ende des Films haben sie beide ganz unterschiedliche Sichtweise. Für Merkatz käme Brunos Verhalten nicht in Frage.

Und die vierte Schauspielerin, Erni Mangold als Brunos gehörnte Ehefrau? Was aus den beiden letztlich wird, bleibt ausgeklammert. Lebens-Geschichten werden nicht fertig geschrieben. Dankenswerterweise in diesem Fall auch auf der Leinwand nicht.

Bilder: geyerhalterfilm / Monik Saulich

 

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