Wenn Bergmenschen „im Blut“ liegen
BERGFILM-FESTIVAL / DER BERGFÜRST
13/11/11 Es braucht keine Riesenexpeditionen, um in Europa in wahrhaft exotische Gegenden zu kommen. Albanien ist beileibe nicht aus der Welt, und Shkodra, fast schon an der Grenze zu Montenegro ist auch durchaus erreichbar.
Von Reinhard Kriechbaum
Ab Shkodra geht es freilich nur noch geraume Zeit mit Auto oder Lastwagen landeinwärts. Dann einmal braucht es Maultier oder Esel als Transportmittel. Und so bizarr wie die Gebirgslandschaft wirken auf Mitteleuropäer das Leben und die Gesellschaftsordnung dort. In der Doku „Der Bergfürst“ von dem deutschen Filmer Philip Vogt lernen wir einen „Bajraktar“ kennen – wörtlich übersetzt: einen, der die Fahnen trägt. Es ist der weitaus Angesehenste einer Gruppe von Familien, Bruderschaften, Sippen und Stämmen – so die alte Hierarchie. Elf Stämmen steht der Bajraktar vor, in dieser einsamen Bergwelt. Es sind tiefgläubige Katholiken und sie folgen doch dem alten orientalischen Recht, dem Kanun. Der sieht durchaus vor, dass ein Menschenleben mit einem ebensolchen gesühnt wird. Wenn Familien „im Blut“ liegen, also Blutfehde herrscht, ist der Bajraktar mit seiner Autorität und seinen Lösungsvorschlägen gefragt.
Christliche Bergbauern und Blutfehde – nicht die einzige schräge Sache. Der Bajraktar hat drei Söhne. Einer von ihnen studiert ausgerechnet Jus. Er wird einmal für ein „europäisiertes“ Rechtsverständnis einstehen. Wer wird einmal die Nachfolge als Bajraktar antreten? Der zweite Sohn, der fleißig chattet „um eine Schwedin zu bekommen“ will auswandern. Er wird auch schwerlich infrage kommen für das Ehrenamt im archaischen Clan.
Mit größtem Respekt nähert sich Philip Vogt dieser fremden Welt, deren Bewohner offensichtlich rasch Zutrauen gefasst haben zum Filmemacher. Sie erzählen von ihrer Sicht auf die Dinge, die geprägt ist von einem schier unüberwindlichen Mentalitätsunterschied im Grunde verwandter, geographisch naher Menschen. „Der Kanun der Bergmenschen hat nichts mit der Polizei zu tun“, heißt es einmal und meint: Staatliche Gesetze richten wenig aus gegen vermeintlich „aufgeklärte“ Anschauungen. „Das Gesetz der Bergmenschen war stärker als die heutigen Gesetze“ versichert die Frau des Bajraktar – und man ist am Ende der achtzig Film-Minuten geneigt, fast ein wenig nachzutrauern diesen Sitten, auch wenn sie wie Albanien als Ganzes so überhaupt nicht in die europäische Jetztzeit passen.