Besser Trakls Gedichte lesen...
HINTERGRUND / TRAKL-FILM „TABU“
17/07/12 Das Leben des Salzburger Dichters Georg Trakl war kurz (1887 – 1914). Innerhalb weniger Jahre schrieb er die Gedichte, die ihn zu einem Klassiker der Moderne gemacht haben. Seine Biographie ist dennoch nicht gerade engmaschig dokumentiert, manche Lücken sind immer wieder Anlass zu Spekulationen in Romanen und Filmen gewesen.
Von Hans Weichselbaum
Interessante Annäherungen gibt es darunter, ein tatsächlich überzeugendes Ergebnis fehlt aber bisher. Nun hat der deutsche „Tatort“-Regisseur Christoph Stark den Stoff, mit ORF – Beteiligung, aufgegriffen: „Tabu. Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“. Stark stützte sich dabei auf ein Drehbuch von Ursula Mauder und kündigte an, es „radikal und leidenschaftlich“ zu inszenieren. Dabei rückte er den aufgrund einiger Bilder in Trakls Gedichten vermuteten Inzest mit dessen jüngsten Schwester Margarete/Grete ins Zentrum, was zu üppigen Sex-Szenen Gelegenheit gibt. Schauplatz ist Wien in den Jahren 1908/09 (Salzburg kommt in keiner Szene vor), und an Klischees aus dem Wien um 1900 mangelt es in dieser sonst gefälligen Bilderfolge im Stil eines Kostüm-Dramas nicht. So bietet ein Atelierfest bei Kokoschka nicht nur den Maler selbst, sondern auch Alma Mahler und das Bild „Die Windsbraut“ auf.
Biographisches ist nur noch Spielmaterial: Grete heiratete nie ihren Klavierlehrer, sondern einen Berliner Buchhändler; sie hatte kein attraktives Äußeres (wie die Schauspielerin Peri Baumeister), sondern litt darunter, ebenso wie ihr Bruder. Dass Trakl seine Schwester geschwängert haben soll, ist reine Spekulation. Die Fehlgeburt erlitt sie nicht auf der Gartentreppe einer Wiener Villa, sondern in einer einfachen Mietwohnung in Berlin. Trakl hat nie in Wien einem Salonpublikum seine Gedichte vorgelesen (die einzige öffentliche Lesung hielt er 1913 in Innsbruck). Und dass die Mutter ihre beiden Kinder in Wien besucht und sich vor den anstrengenden Gesprächen immer mit Opium (Laudanum) gestärkt haben soll, ist auszuschließen. Die Liste der biographischen Abweichungen ließe sich fortsetzen bis zum falsch angegebenen Todesdatum Trakls. Einzig die Tatsache, dass er seine Schwester zum Drogenkonsum verführt hat, was tiefe Schuldgefühle bei ihm zur Folge hatte, ist biographische Tatsache.
Besonders unangenehm ist in diesem Film der Umgang mit den Gedichten. Verse werden häufig zitiert als eine Art Begleitmusik zum filmischen Geschehen, als wären es Tagebucheintragungen – Biographismus in Reinkultur.
Lässt sich das reduzierte und damit verfälschte Bild, das von dem Dichter hier gezeichnet wird, mit „Freiheit der Interpretation“ rechtfertigen? Gibt es nicht einen Unterschied zwischen der Interpretation gesicherter Fakten und gezielter Manipulation? Mit welcher Absicht wird eine Inzestvermutung, die Trakls erster Biograph (Otto Basil,1965) ausführlich dargestellt hat, um der damals vorherrschenden Sicht der „Trakl-Kirche“ mit gewissem Recht am Zeug zu flicken, jetzt „radikal“ zugespitzt? Das Bemühen um ein besseres Verständnis des Dichters kann es schwerlich sein, eher die Spekulation mit dem Tabu-Bruch: daher vermutlich die Wahl des Titels.
Trakls langjähriger Freund Erhard Buschbeck hat in einem umfangreichen Brief dessen Verhältnis zu Grete als ein „Aufrücken von Gedankensünde, die nie in die Realität herübergegriffen hat“ bezeichnet. Der Umstand, dass er selbst eine „Affäre“ mit Grete hatte, verleiht seiner Einschätzung ein besonderes Gewicht. Der Inzest bei Trakl wäre demnach eine Obsession, die er in poetischen Bildern bearbeitet und damit künstlerisch fruchtbar gemacht hat.
Erotisch geprägte Geschwister-Verhältnisse finden sich außerdem in der Literatur der Zeit häufig, so bei Trakls frühem Förderer, dem Salzburg Dramatiker und Bohemien Gustav Streicher, oder bei großen Autoren wie Thomas Mann oder Robert Musil. Doch solche Überlegungen kümmern einen „Tatort“ - Regisseur nicht. Er sucht das Plakative – und rückt damit einen großen Dichter in ein fragwürdiges Licht. Auf eine differenzierte filmische Darstellung muss man also noch warten. Inzwischen kann man zum Glück Trakls Gedichte lesen.