Netzwerker im Musikleben Zentraleuropas
TODESFALL / HANS SCHLOTE
18/02/14 „Der Nachkriegs-Impresario schlechthin“, schrieben wir über unseren Beitrag zum 90. Geburtstag des Salzburger Konzert- und Theateragenten Prof. Hans Schlote im Jänner 2012. Am Sonntag (15.2.) ist dieser verdienstvolle Ermöglicher im Alter von 92 Jahren gestorben.
Von Horst Reischenböck
und Reinhard Kriechbaum
Er galt als der Doyen der Konzert- und Theaterveranstalter im deutschsprachigen Raum. In Salzburg speziell war der legendäre Schlote-Zyklus im Großen Festspielhaus – es gab ihn 45 Saisonen lang bis 2011 – eine Begegnungsstätte vorwiegend mit der großen Oper, aber auch mit Sprechtheater.
Woran sich am Ort wahrscheinlich nur noch ältere Semester erinnern (so sie denn in ihrer Jugend, wenn sie in einem Jeunesse-Konzert saßen, überhaupt über den Veranstalter nachgedacht haben): Hans Schlote hat sich sehr für die Jeunesse engagiert, mit 130 Veranstaltungen im damals stets voll besetzten Großen Saal der Internationalen Stiftung Mozarteum.
Den Schlotes liegt der Impresario sozusagen in den Genen: Die Eltern gründeten ihre Konzertagentur im Geburtsjahr des Sohnes, 1922. Schon sie buken bald keine kleinen Brötchen mehr und schickten Leute wie die Pianistin Elly Ney oder die Comedian Harmonists auf Konzertreisen.
Als 1942 der Vater unerwartet starb, übernahm der blutjunge Hans Schlote das Unternehmen führte es erst mit seiner Mutter Margarethe und ab 1952 allein, unter desaströsen materiellen Voraussetzungen der kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit. Aber rasch ist es ihm gelungen, das Vertrauen sowohl namhafter Künstler als auch der sich allmählich wieder aufrappelnden Kulturveranstalter zu gewinnen. Unmittelbar nach dem Krieg vermittelte Hans Schlote Schauspieler wie Marianne Hoppe und Will Quadflieg zu Rezitations- und Leseabenden. Auch die allererste Schauspieltournee durch Deutschland wurde damals in Angriff genommen – logistisch kein Pappenstiel angesichts der vier Besatzungszonen.
1948 ein erstes Konzert der Berliner Philharmoniker unter Sergiu Celibidache, zwei Jahre später eine erste Tournee der Wiener Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler – das war der Beginn größerer „Formate“: Schlote vermittelte das Concertgebouw Orkest Amsterdam mit Eduard van Beinum, Bernard Haitink und Rafael Kubelik ebenso wie das London Philharmonic Orchestra unter Sir Adrian Boult oder das Orchestra della Scala di Milano unter Guido Cantelli. Hans Schlote brachte das Mozarteumorchester Salzburg mit dem Dirigenten Georg-Ludwig Jochum (dem Bruder des später bekannteren Eugen Jochum) und mit dem russischen Bratschisten und Orchesterleiter Rudolf Barschai zusammen.
Hans Schlote hatte Gespür gleichermaßen fürs Unternehmerische wie für künstlerische Optionen. Vom Kalten Krieg, vom Eisernen Vorhang längs durch Europa ließ sich einer wie er nicht wirklich beeindrucken, er verstand das wohl eher als Herausforderung, Dinge trotzdem möglich zu machen. Einen „Netzwerker“ würde man so jemanden wie ihn heutzutage nennen: Die sowjetischen Pianisten Emil Gilels, Swjatoslaw Richter kamen über seine Vermittlung das erste Mal in deutsche Lande. Die Dresdner Philharmonie, das Leipziger Gewandhaus Orchester, die Tschechische Philharmonie (noch zusammen mit Karel An?erl) oder das Radio Symphonie-Orchester Budapest unter György Lehel reisten in den Westen, im Gegenzug vermittelte Schlote als erste deutsche Sänger Erika Köth und Hermann Prey in die UdSSR.
Politiker hüben und drüben waren über des emsigen Impresarios beharrlichen Vermittlungseifer nicht immer erbaut. Aber an Überredungskunst fehlte es Schlote wohl nie: Arthur Rubinstein wollte ja nie mehr in Deutschland auftreten, aber er spielte vor ausschließlich deutschem Publikum in der benachbarten niederländischen Grenzstadt Nijmegen… Schlote organisierte die ersten Deutschland-Tourneen israelischer Ensembles.
Besondere Freundschaft verband das Ehepaar Schlote mit János Ferencsik, und der, später von Ken-Ichiro Kobayashi geleiteten, Nationalphilharmonie Budapest, für die man in 28 Jahren rund dreihundert Konzerten organisierte. Die Beziehung Hans Schlotes zu vielen Künstlern war überhaupt sehr familiär, wie die Bilder auf dieser Seite spiegeln: Er ist zu sehen mit Dietrich Fischer-Diskau, Hans Joachim Kulenkampff, ;aria Schell und Marcel Prawy.
Über sechzig Konzerte gab der legendäre Tenor Benjamino Gigli auf Schlotes Vermittlung, und auch der Cellist Pablo Casals findet sich auf der Künstlerliste. Der exzentrische italienische Pianist Arturo Benedetti-Michelangeli gab auf Schlote’sche Vermittlung sein einziges Konzert in Salzburg.
Seit 1966 ist das Unternehmen in Salzburg ansässig (zuvor war man in Düsseldorf und Frankfurt tätig). Wer den Agenteneifer statistisch greifen möchte: Im Durchschnitt führte das Unternehmen von Hans Schlote eine Veranstaltung pro Tag durch – das machte ab Kriegsende rund 22.500 Veranstaltungen in 59 Ländern und auf allen Kontinenten – allein in Salzburg über sechshundert. 1987 ging die Geschäftsführung auf die Enkel der Gründerin, Michael und Joachim Schlote über.
1948, also ganz am Beginn seiner Berufslaufbahn, hat Hans Schlote das Management der Compagnia d'Opera Italiana di Milano übernommen – sie führt zwar Mailand im Namen, aber es ist de facto das hauseigene Schlote’sche Opernunternehmen. Als es den Schloße-Zyklus im Großen Festspielhaus noch gab war ein Operngastspiel – im Regelfall in der ersten Dezemberhälfte – obligat.
An Hans Schlote führte im internationalen Musikgeschäft eigentlich kein Weg vorbei: Ab 1977 verpflanzte er Künstler der Arena di Verona in den Norden, mit glänzenden Namen wie Fiorenza Cossotto, Anna Moffo und Katja Ricciarelli, Piero Cappuccilli, José Careras, Leo Nucci oder Rolando Panerai. Und Carl Orffs Oper „Die Kluge“ schickte Schlote durch 47 Staaten auf allen Kontinenten. Eine Schlote-Gründung waren die Meisterkonzerte in der Frankfurter Oper, wo schon im Herbst 1955 der damals noch jungen Dietrich Fischer-Dieskau eine Auftrittsmöglichkeit bekam.
Immer wieder nahm sich der Impresario auch des Aufbaus der Karrieren junger Instrumentalisten und Sänger an. Und Hans Schlote war zudem mutmaßlich auch der Erste, der seine Erfahrung im kulturellen Management durch Vorlesungen an allen drei österreichischen Musikhochschulen in Graz, Salzburg und Wien vermittelte. Über 200 Opernaufführungen der Musikhochschulen München und Wien schickte Hans Schlote durch verschiedene Länder.
Der Professorentitel war nur eine von vielen Auszeichnungen. In Salzburg ist die Erinnerung an den „Schlote-Zyklus“ natürlich noch sehr wach. Seit 1967 wurden mehr als 230 Abonnement-Theatervorstellungen in beiden Salzburger Festspielhäusern durchgeführt. Das Unternehmen scheiterte zuletzt nicht an mangelnder Publikumsnachfrage, sondern an der Finanzierbarkeit in diesem exponierten Haus. Ähnliche Zyklen organisierte Schlote zwischen 1984 und 1991 bzw. 1995 auch im Bregenzer Festspielhaus sowie im Brucknerhaus Linz. Von 1988 bis 1996 auch in der Heimatstadt der Schlotes, im Duisburger Stadttheater.