Selbstbewusster Sklave der Päpste und Medici-Fürsten
IM PORTRÄT / MICHELANGELO
18/02/14 Der Maler und Kunst-Chronist der Renaissance Giorgio Vasari stilisierte Michelangelo als "göttlich", ja als Zielpunkt der gesamten Kunstgeschichte. Er selbst beschrieb sich als "armseligen, infamen und irren Mann".
Der Geburtstag Galileis und der Todestag von Michelangelo liegen gerade drei Tage auseinander. Jener kam am 15. Februar 1564 zur Welt, Michelangelo starb am 18. Februar – also vor 450 Jahren. Fast 89 wurde er alt. Sein Grab ist in der Kirche Santa Croce in Florenz.
Schon vom Todesfieber geschüttelt, arbeitete er bis zum Schluss an seiner letzten, unvollendeten Pieta: der so genannten „Pieta Rondanini“. Nicht eine Darstellung mit sitzender Madonna, die den toten Jesu auf dem Schoß trägt, sondern eine hoch aufschießende Figurengruppe. Hätte Michelangelo das Werk vollendet, hätte es gewiss einen völlig anderen Charakter gehabt als jene Pieta, die man gemeinhin mit dem Namen Michelangelos assoziiert – jener im Petersdom aus den Jahren 1498/99.
Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter: ein Renaissance-Universalist. Gegen den Widerstand seines Vaters wurde der 1475 geborene Michelangelo mit 13 Jahren Schüler des Malers Domenico Ghirlandaio (1449-1494). Hier lernte er die Technik der Freskomalerei. Talent, Eifer und etwas Glück brachten ihn schon bald an die Florentiner Hofschule.
Der Hof der Medici stand unter Lorenzo dem Prächtigen in seiner Hochblüte. Die feinsinnige Bildung, die Michelangelo dort erfuhr, prägte ihn entscheidend. Die Neugier, der Forschungsdrang war der Epoche quasi eingeschrieben. Ab 1491 unternahm Michelangelo heimlich Studien an Leichen - was zu dieser Zeit noch streng verboten war. Der genauen anatomischen Darstellung war das freilich sehr dienlich.
Bald nach dem Tod Lorenzos spürte Michelangelo den nahenden Sturz der Medici; er setzte sich 1494 rechtzeitig nach Bologna ab. Bei seiner Rückkehr nach Florenz hatte sich der Charakter der Stadt völlig geändert: Der Bußprediger Girolamo Savonarola hielt die Menschen dort in einem Klammergriff von religiöser Diesseitsverachtung und Endzeitermahnungen, die auch Michelangelo tief beeindruckten. Für den Kunstbetrieb war dort freilich wenig Platz, und so folgte er einem Ruf nach Rom.
Aus den äußerst widersprüchlichen Erfahrungen der frühen Florentiner Jahre, gepaart mit seinem ohnehin impulsiven Naturell, entstand in Michelangelo ein sehr fruchtbarer Gegensatz: Der Libertinismus der Schule der Medici und die fromme Bußfertigkeit des Bekehrten setzten in ihm Energien frei, sich den Konventionen seiner Künste und sogar dem Willen seiner Auftraggeber zu widersetzen. Die ungebärdige, übermenschliche Kraft von Michelangelos Figuren bringen Unordnung und Dynamik, wo die klassische Komposition der toskanischen Renaissance noch wohlgeordnete Ruhe verlangten.
In Rom schuf Michelangelo seine wichtigsten Werke, sieht man vom monumentalen David in Florenz (1504) und den Werken in der Medici-Kapelle von San Lorenzo ab, die er zwischen 1524-1533 schuf. Der Maler fühlte sich doch immer stärker zur Bildhauerei hingezogen. Der riesige Marmorblock, aus dem der „David“ werden sollte, hielten andere Bildhauer in Floren bereits für verhauen. Michelangelo hatte einen Blick für die Optionen des Steins – er formulierte es in etwa so, dass er die Figur bereits im rohen Stein erkenne und sie lediglich daraus „befreie“.
Michelangelo erlebte 13 Päpste, und er war für die absolut kein bequemer Künstler. Am spannungsreichsten war das Dienstverhältnis zum Papst Julius II. (1503-1513) – der stammte aus der Familie der Medici und hatte ein ebenso unnachgiebiges, aufbrausendes Naturell wie Michelangelo. Erst setzte ihn der Papst auf ein gigantisches Marmorgrabmal für sich selbst an. Später zog er ihn davon wieder ab und verpflichtete ihn zur Ausmalung der Decke der Sixtinischen Kapelle (1508-1512) – ein Mammutwerk auf 520 Quadratmetern, das ihn auch als Maler unsterblich machte.
In seinen Aufzeichnungen hat der so sensible wie stolze Michelangelo festgehalten, wie sehr er unter dem fordernden und sprunghaften Wesen Julius II. litt. Bildlich verewigt hat er seinen Peiniger mit der kolossalen Marmorstatue des Mose in der Titelkirche des Papstes, San Pietro in Vincoli – auch das hochberühmtes Werk, das man in Rom an jedem Touristenstand in Reproduktion kaufen kann.
Ein weiterer Medici-Papst, Klemens VII. (1523-1534), nötigte Michelangelo 1532 zu einem weiteren malerischen Meisterwerk: 20 Jahre nach der Decke der Sixtina sollte er ein ein Altargemälde für die Wahlkapelle der Päpste zu schaffen. So entstand das mehr als 200 Quadratmeter große "Jüngste Gericht" mit seinen fast 400 Figuren.
Ein tief empfundenes Selbstbildnis hat Michelangelo im Jüngsten Gericht hinterlassen: Er selbst in der schlaffen, leeren Haut des heiligen Bartholomäus, gequält und ausgepumpt von diesem Großprojekt, das er 1541, als 66jähriger vollendete. Michelangelo mag sich manchmal als Sklave gefühlt haben – die beiden (unvollendeten) Sklaven im Pariser Louvre waren übrigens fürs Julius-Grabmal gedacht, fanden aber dann einen Platz dort.
Papst Paul III. (1534-1549) hat ihm – so darf man es wohl formulieren – eine Großbaustelle aufs Auge gedrückt: Gegen seinen Willen übernahm der 71jährige 1547 die Bauleitung am Petersdom und dessen Kuppel. Zeitgleich arbeitete Michelangelo an seiner "Pieta von Florenz", deren Figur des Josef von Arimathäa wiederum seine eigenen Züge zeigt. Sie blieb unvollendet, so wie die Pieta Rondanini.
Der Universalist war immer wieder gefragt. Schwer vorstellbar, dass ein Künstler, der die Medici-Grabmäler in der Sagrestia Nuova schuf, quasi zwischendurch seine Expertise in den Bau neuer Befestigungsanlagen einbrachte: Es galt, Florenz für die Medici zurück zu erobern, Michelangelo war der leitende Techniker beim Bau von Befestigungsanlagen im nahen San Miniato.
Er hat Sonette geschrieben – mit denen er freilich weniger in die Literaturgeschichte eingegangen ist als in die Musikgeschichte, denn von Hugo Wolf und Richard Strauss bis Britten und Schostakowitsch reicht die Liste der Vertoner. (Alexander Brüggemann, Kathpress / dpk-krie)