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Reisender Chronist von Barbaropa

IM PORTRÄT / KARL-MARKUS GAUß

14/05/24 Postadresse Reichenhaller Straße – dort könnte man einen Menschen erwarten, der über Jahrzehnte so knapp vor den senkrechten Felswänden des Mönchsbergs einen ziemlich einseitigen Blick entwickelt hat. Einen Tunnelblick gar, führt doch der direkte Weg in die Stadt durchs Neutor. Davor ist Karl-Markus Gauß, der heute Dienstag (14.5.) seinen 70. Geburtstag feiert, gefeit.

IM PORTRÄT / KARL-MARKUS GAUß

14/05/24 Postadresse Reichenhaller Straße – dort könnte man einen Menschen erwarten, der über Jahrzehnte so knapp vor den senkrechten Felswänden des Mönchsbergs einen ziemlich einseitigen Blick entwickelt hat. Einen Tunnelblick gar, führt doch der direkte Weg in die Stadt durchs Neutor. Davor ist Karl-Markus Gauß, der heute Dienstag (14.5.) seinen 70. Geburtstag feiert, gefeit.

Von Reinhard Kriechbaum

Er ist nicht nur deshalb vor einer Verengung des Blicks gefeit, weil er – wie er aktuell dem ORF Salzburg anvertraute – täglich über den Mönchsberg spaziert. Von dort ist die Perspektive doch weiter – ein wenig weiter zumindest – als aus der Riedenburg oder der Altstadt selbst. Karl-Markus Gauß bewahrt aber bewahrt auch die Herkunft seiner Familie davor, den weiten europäischen Blick zu verlieren.

Er wurde 1954 als jüngstes von vier Kindern einer donau-schwäbischen Flüchtlingsfamilie geboren. Sein Vater war der Verleger und Volkskundler Adalbert Karl Gauß. Da wurde wohl das Interesse grundgelegt für eine seiner Schaffens-Schienen: Essays und Reiseberichte über Gegenden, wo in der Öffentlichkeit wenig beachtete Minderheiten leben. Das mussten gar nicht solche „Exoten“ sein wie die Die Hundeesser von Svinia (2004), die in der Ostslowakei selbst in Roma-Kreisen als geächtet gelten. Bücher wie Die sterbenden Europäer. Unterwegs zu den Sepharden von Sarajevo, Gottscheer Deutschen, Arbereshe, Sorben und Aromunen (2001), Die versprengten Deutschen. Unterwegs in Litauen, durch die Zips und am Schwarzen Meer (2005) oder Die fröhlichen Untergeher von Roana. Unterwegs zu den Assyrern, Zimbern und Karaimen (2009) haben Gauß' Leserschaft fremde Regionen und Ethnien erschlossen. Mit dem Fotografen Kurt Kaindl (als Freund und Chauffeur) war Gauß oft unterwegs.

Das besondere dieser Art von literarischem Reisejournalismus ist die Verbindung aus genauer Beobachtung, Empathie und Stil. Als Karl-Markus Gauß 2013 den „Internationalen Preis für Kunst und Kultur“ des Kulturfonds Salzburg bekam, formulierte es Laudator Michael Köhlmeier kurz und bündig: „Der Woyzeck ist eine große Empörung gegen Unrecht und Leid, aber in jedem Satz ist er Poesie. Und Karl-Markus Gauß ist Büchners Bruder.“

Eine andere Schiene im Bücher-Spektrum von Karl-Markus Gauß bilden Diarien und Journale: literarisch gefasste Betrachtungen der Gesellschaft. Zustandsschilderungen. Da fließen Erzählungen, politische Kommentare, Anekdoten, Essays, philosophische Betrachtungen, literarische Porträts, Glossen, Nekrologe, Aphorismen zu einer eigenen literarischen Form zusammen: Es sind persönliche Chroniken unserer Zeit.

Nach dem Studium der Geschichte und Germanistik begann Gauß in den frühen 1980er Jahren zu publizieren, anfangs vor allem literarische Porträts, politische Glossen und Feuilletons, die bald regelmäßig in großen Zeitungen des deutschen Sprachraums gedruckt wurden. Der Blick auf Europa als Kulturraum war schon damals so umfassend wie kritisch. Das Wort Barbaropa taucht bereits 1988 in einem Buchtitel auf, das im Wieser Verlag erschienen war (Tinte ist bitter). Dann wurden der Otto Müller Verlag und Zsolnay Gauß' wichtigste Verlage.

29 Bücher hat Gauß veröffentlicht, sie wurden in siebzehn Sprachen übersetzt. 23 Auszeichnungen listet Wikipedia auf, vom Internationaler Preis von Portorož für Essayistik 1987 bis zum Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2022. 2006 wurde Gauß in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung aufgenommen. 2007 erhielt er das Ehrendoktorat der Philosophie der Universität Salzburg.

Von 1991 bis 2022 war Gauß drei Jahrzehnte lang Herausgeber und Chefredakteur der Literaturzeitschrift Literatur und Kritik. Gauß’ Themen spiegelten sich auch in dieser Zeitschrift. In der Süddeutsche Zeitung hat Gauß eine Kolumne. Eine der letzten hieß Wie ein Land mit Nationalismus erstickt wird. Im Untertitel: „Über eine Reise durch die prächtige Vojvodina und die zunehmend dringende Frage, warum kulturelle und kulinarische Vielfalt in Europa so wenig wert zu sein scheint.“

Karl Markus Gauß im Otto Müller Verlag und bei Zsolnay
Zum Vorbericht Ge-SALZ-ener Geburtstagwww.leselampe-salz.at
Bild: Kurt Kaindl / Paul Zsolnay Verlag

 

 

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