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Momente großer Bühnenkunst

TODESFALL / JULIA GSCHNITZER

02/07/23 Sie bringe „Die Fülle des Lebens auf die Bühne“. Das hat Laudator Siegbert Stronegger über Julia Gschnitzer gesagt, als ihr 2015 für ihr Lebenswerk der Kulturfonds-Preis der Stadt Salzburg überreicht wurde. Die Kammerschauspielerin, die in Elsbethen bei Salzburg lebte, ist im Alter von 91 Jahren gestorben.

Von Reinhard Kriechbaum

Im Jahr 2011 feierte Julia Gschnitzer ihr Sechzig-Jahre-Bühnenjubiläum. Da verwunderte es nicht, dass sie beispielsweise in Raimunds Der Bauer als Millionär sowohl die Jugend als auch das hohe Alter gespielt hat. Und trotzdem schwangt bei Julia Gschnitzer immer ein juvenil-fröhlicher Ton mit. Sie könne „ unnachahmlich verwundert in die Welt schauen“, schrieb Werner Thuswaldner im DrehPunktKultur 2018 über sie, als sie im Schauspielhaus Salzburg in Ödön von Horvaths Jugendwerk Niemand auftrat. Das war zwei Jahre nach ihrem offiziellen Rückzug von der Bühne.

Aber das war nicht so wörtlich zu nehmen, denn wenn Julia Gschnitzer eine Rolle interessierte, griff sie auch danach noch gerne zu. Etwa 2017 in Else von Josef Tal, inszeniert von Opernregisseur Bruno Berger-Gorski im Museum der Moderne und in der Salzburger Synagoge.

Mit ihrem Tod gehe „ein Teil österreichischer Schauspielgeschichte verlustig“, schreibt Kunst-Staatssekretärin Andrea Mayer, und das ist in diesem Fall nicht nur eine Floskel. „Julia Gschnitzer hat über sechs Jahrzehnte heimisches Bühnengeschehen mitgestaltet und geprägt, hat die Entwicklungen des Theaters aufmerksam verfolgt und hat sich, wie sie selber einmal bekannte, immer von ihrem Instinkt leiten lassen. Darauf verließ sie sich in der Gestaltung ihrer Rollen, unabhängig ob für die Bühne, wie Goethes Gretchen oder Jedermanns Mutter, oder für das Fernsehen, wie Jägerstätters Frau Franziska in Der Fall Jägerstätter oder Frau Vejvoda in Ein echter Wiener geht nicht unter. Es waren nicht die großen Gesten, sondern das fein geführte Spiel, das ihre Kunst auszeichnete.“

Auf dem Domplatz hat sie von 2013 bis 2016 Cornelius Obonya ins Gewissen geredet. Es waren jene Jahre, in denen die britischen Regisseure Brian Mertes und Julian Crouch die Jedermann-Crew in einer Art Prozession vom Festspielhaus Richtung Domplatz ziehen ließ. Damals hat Julia Gschnitzer in der Rolle von Jedermanns Mutter ein großes Kreuz getragen. Die ist ja bigott, und genau deshalb, so erzählte Julia Gschnitzer in einem Interview, habe sie sich gar nicht so leicht einfinden mögen in diese Rolle.

Aber Identifikation mit der jeweiligen Rolle und damit hohe Glaubwürdigkeit – das waren eben die Stärken von Julia Gschnitzer. Man verspüre „gar nicht den Wunsch, die Kraft und die Wahrhaftigkeit dieser Grande Dame des Theaters zu ergründen, weil es an der Magie ihrer Darstellungskunst ohnedies nichts herumzudeuteln gibt“, sagte Siegbert Stronegger bei besagter Ehrung.

Schon als Kind soll die in Innsbruck Geborene gesagt haben, sie wolle einmal „Spielerin“ werden. Ihr erstes Engagement führte sie 1951 ans Tiroler Landestheater. Kürzere Stationen waren das Stadttheater Biel-Solothurn (1954-1956) und das Stadttheater Bern (1956-1959). Ab 1960 gehörte sie für dreißig Jahre dem Ensemble am Volkstheater Wien an. Sie verließ es als Kammerschauspielerin. Von 1990 bis 1995 war sie am Landestheater Salzburg engagiert. Danach war sie frei tätig.

Sie habe „gespielt, wo immer man mich gebraucht hat“, sagte Julia Gschnitzer. Das Besondere dabei war, dass sie völlig uneitel auch mit kleinen Theatern und freien Gruppen zusammenarbeitete: So spielte sie im Jahr ihres Sechzig-Jahre-Bühnenjubiläums bei der theater(off)ensive, damals in der TriBühne Lehen. „Julia Gschnitzer als Lesende von (weihnachtlichen) Waggerl-Texten: Das ist eine Kategorie für sich.“ Das schrieben wir in einer CD-Kritik vom Salzburger Hirtenadvent. Auch dafür war sich die Kammerschauspielerin nicht zu gut. Bei den Kollegen vom Salzburger Adventsingen stand sie vor Jahren auf der Bühne des Großen Festspielhauses.

Im Schauspielhaus Salzburg war sie öfters zu Gast, etwa als skurrile Oma im Rollstuhl in der dramatischen Komödie Acht Frauen von Robert Thoma. Sie spielte in Frau Suitner von Karl Schönherr und Josef und Maria von Peter Turrini. „Momente großer Bühnenkunst schenkt Julia Gschnitzer als Magd Eurykleia“ (so in unserer Besprechung) 2015 in Christoph Ransmayrs Odysseus, Verbrecher.

Eine Impression aus dem Schauspielhaus Salzburg 2014 in Alois Hotschnigs Absolution: „Für ein wenig Auflockerung im familiären Psycho-Dreikampf sorgt die alte Berta (Julia Gschnitzer), die als gute Seele des Hauses durch die Inszenierung … geistert und die trübe Stimmung schon einmal mit bunten Luftballons aufzuhellen versucht. Geschickt je nach Bedarf zwischen Altersweisheit und Altersdemenz changierend, scheint sie beim bösen Spiel um den lebenden Toten die Strippen in der Hand zu haben.“

Julia Gschnitzers Wurzeln in Tirol hat sich der Autor Felix Mitterer versichert: Mit ihm verband die Schauspielerin eine intensive Zusammenarbeit in Tirol, etwa bei den Volksschauspielen Telfs. Julia Gschnitzer hat immer betont, vor allem Bühnenschauspielerin zu sein – aber zum Theater kamen Film- und Fernsehrollen sonder Zahl. 1971 wurde sie als Franziska Jägerstätter in dem Film Der Fall Jägerstätter von Axel Corti einem breiten Fernsehpublikum bekannt. Einen gewissen Kultstatus bekam 1995 Die Fernsehsaga – Eine steirische Fernsehgeschichte (Regie: Julian Pölser). Der österreichische Film kam nicht aus ohne Julia Gschnitzer: Die Siebtelbauern (Stefan Ruzowitzky), Im Tal des Schweigens (Peter Sämann) und Zeit der Fische (Steffi Kammermeier). Auch für Xaver Schwarzenbergers Andreas Hofer-Film Die Freiheit des Adlers stand die Vielbeschäftigte vor der Kamera. Für die junge Salzburger Filmemacherin Antoinette Zwirchmayr hat sie Im Schatten der Utopie der Großmutter die Stimme aus dem Off geliehen. Es ging Julia Gschnitzer eben immer als erstes darum, welche Rollen und Figuren sie besonders ansprangen.

Bilder: InfoZ (1); Wikimedia / Matthias Kabel (1); Schauspielhaus Salzburg / Jan Friese (1), Marco Riebler (1)

 

 

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