Flächentiefe
IM PORTRÄT / OLIVER HANGL
18/09/19 "Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen", meint Kafka. Der Künstler Oliver Hangl geht diese Wege. Sein nächster wird ihn nach Salzburg zum Festival Jazz & The City führen, für das er auch den öffentlichen Raum der Stadt öffnen will.
Von Franz Jäger-Waldau
"Mit Oliver Hangl habe ich einen kongenialen Partner gefunden, wenn es darum geht, den Besuchern mehr zu bieten und sie aktiv in die Festivalidee einzubinden“, so Leiterin des Festivals Tina Heine. Für das Jubiläumsjahr - Jazz & The City findet zum 20. Mal statt - hat sie sich Verstärkung geholt.
„Es gab eine Mail“, sagt der Künstler Oliver Hangl und erzählt, dass er mit Tina Heine bereits letztes Jahr die Idee entwickelt hatte, "feierlich Salzburgs öffentlichen Raum zu eröffnen". Oliver Hangl lässt den Raum nicht einfach nur Raum sein. Mit „walking concerts“, „walking lectures“ oder auch „Baulückenkonzerten“ füllt er in Wien leere Flächen mit einer neuen Tiefe und führt Menschen und Räume in neuen Konstellation zusammen: Konzerte, Lesungen, Filmvorführungen, also Situationen, die immer an den Stillstand ihres Orts gebunden sind, werden von ihm spielerisch in Bewegung gebracht. Sein „Wiener Beschwerdechor“ ist das polyphone Ächzen der Stadtbevölkerung. Dabei bittet Oliver Hangl um die Beschwerden der Bürger, die als Auftragskompositionen zu Chorstücken verarbeitet werden: „Ist da jetzt leichter, hast Luft kriagt, glaubt tuad se was ändan?“
Salzburg trägt heute "seine barocke Fassade wie sterile Operationshandschuhe", sagt Hengl im gespräch mit dem DrehPunktKultur. Die vergessene Wildheit, die Dynamik jener Epoche will Hangl auch im Rahmen des Festivals Jazz & The City wiederfinden: walking concerts sollen die Stadt auf verschiedenen Routen durchziehen und in ständiger Bewegung halten. „Es ist ein spielerischer Zugang, wobei mein Ziel ist, die Eintrittsschwelle so niedrig wie möglich zu halten.“
Eine „Pop-Up-Stage“ wird an vier, von Oliver Hangl kuratierten Flächen, spontan den roten Teppich ausrollen und auch die Beweglichkeit der Bürgerinnen und Bürger ausbilden: Zwei Stunden im Vorhinein werden jene per App benachrichtigt und zum Kommen eingeladen.
Mit diesen experimentellen Ideen, stimmt Oliver Hangl dem Kafka zugeschriebenen Satz zu, „Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen.“ Um etwas im Innern zu ändern, sollte oft mit dem äußeren Raum begonnen werden: „Es ist heute wissenschaftlich erwiesen, dass sogar die Gehirne von Menschen, die sich, warum auch immer, wenig bewegen, zu kristallisieren, zu versteinern beginnen. Kurz gesagt, Bewegung hält jung“, sagt Oliver Hangl selbst und fährt bescheiden fort: „Ich möchte auch etwas dabei lernen, sonst wäre ich nicht Künstler geworden."
Das Überkreuzen von Stillstand und Bewegung wird Oliver Hangl in Salzburg mithilfe eines sogenannten „Flüstertunnels“ darstellen, eine Schlange von je zwei gegenüberstehenden Menschen, die einander Wörter zuflüstern. Die Einzelwörter werden dabei von einer sich durch den Tunnel bewegenden Person zu ganzen Sätzen geformt, die wiederum Teil einer übergreifenden Darstellung werden sollen.
Auch die in und über Salzburg stehende Festung ist nicht sicher vor Oliver Hangls Kampagne: „Festung Entern“ ist ein konzertanter Feldzug, der Salzburgs Wahrzeichen (und unbeweglichste Objekt) musikalisch erobern wird.
Oliver Hangl ist jemand, der ist, was er tut. Und er tut viel: „Ich habe natürlich einen Motor in mir, der mich treibt. Ich kann selbst nicht stillstehen.“ Damals, als Miterfinder der „Silent Disco“ hätte sich der in Wien lebende Künstler sicherlich mit der Kommerzialisierung der Idee ein einfaches Leben machen können. Ein Leben ohne Regungen, die für Oliver Hangl wesentlich wertvoller sind. Sich selbst erkennt er dabei eine bescheidene Rolle zu: „Mir geht es nicht um mich selber, nicht um meine Person, meine Projekte sind Gruppenprojekte, die nicht ein einziges Resultat, sondern viele verschiedene Resultate hervorbringen.“