Im Innersten des Klanges entsteht Gesang
IM PORTRÄT / ASPEKTE-FESTIVAL / SOFIA GUBAIDULINA
25/05/10 Das Klavier schätzt sie nicht besonders. Sie sieht eine große Schere aufgehen, zwischen jungen Leuten, mit „feurigen Augen, die alles wissen wollen“ und jungen Menschen, die nicht mehr lernen, „mehr als schnelles Vergnügen zu suchen“. Und Franz von Assisi ist für sie eine der „wichtigsten Figuren der Menschheitsgeschichte“: Mit Sofia Gubaidulinas „Sonnengesang“ wird morgen Mittwoch (26.5.) das Aspekte-Festival eröffnet.
Von Heidemarie Klabacher
Zur Einstimmung erzählte die Komponistin heute Dienstag (25.5.) im Mozarteum vor Journalisten und Kompositionsstudenten von ihrer Arbeit. „Sogar das Schlagzeug enthält doch etwas Gesangliches“, sagte Sofia Gubaidulina. „Im Innersten des Klanges entsteht Gesang.“ In ihrer Vertonung des Sonnengesangs des Franz von Assisi „singen“ Solocello und Schlagzeug tatsächlich genauso. Und der Chor lässt, neben Singen und Rezitieren, immer wieder mit Glissandi oder Schreien aufhorchen. Trotz der Vielfalt in der Klangerzeugung wirkt Gubaidulinas „Sonnengesang“ beinah „klassisch“ - was vielleicht mit der Botschaft zusammenhängt: „Franz von Assisi lobt nicht nur die Elemente, Sonne, Mond und Sterne“, erklärt Sofia Gubaidulina. Er lobe das Leben selber „und den Tod auch“. Diese extremen Erscheinungen seien für unser aller Leben - und damit auch für ihr Werk - entscheidend: „Die Kulmination auf diese Extreme zu.“
In jedem Konzert der morgen Mittwoch (26.5.) beginnenden Aspekte steht zumindest ein Werk von Sofia Gubaidulina, die als Composer in Residence in Salzburg anwesend ist, auf dem Programm. Darunter etwa die „Zehn Präludien für Violoncello Solo“. Ursprünglich waren das „Etüden“, erzählt die Komponistin. Ein Cellist habe ihr nach Fertigstellung 1974 gesagt, die Stücke seien „als Etüden gescheitert“, aber es wären tolle Präludien. Heute bereue sie, dass sie sich zur Unbenennung habe überreden lassen: In jedem Stück würden ein bestimmter technischer Aspekt oder eine besondere Form der Klangerzeugung - arco, pizzicato oder springender Bogen - behandelt: „Es sind doch Etüden.“
Eine Besonderheit ist die zehnte „Etüde“ - also das zehnte Präludium: Hier sei dem jeweiligen Interpreten ein großer Freiraum überlassen: Sie schätze, so Gubaidulina, „die Initiative der Interpreten“: „Einige Interpreten wollen nur möglichst genau den Notentext reproduzieren. Einige schätzen es aber, wenn sie Freiraum für eigenen Gedanken und Entwicklungen finden.“ Ihnen baut sie hier eine goldene Brücke mit einer Klammer - die den Freiraum zur Improvisation öffnet: „Das Werk ist sicher schon tausendmal gespielt worden“ - und jedes Mal folge der jeweilige Interpret auf verschiedenen Wegen dieser Einladung. Sie bedaure es, so Sofia Gubaidulina, „dass in unserer Kultur das improvisatorische Element immer mehr verloren geht.“ Daher gebe sie in vielen ihrer Werke diese Möglichkeit.
Das Klavier schätzt die ausgebildete Pianistin nur bedingt: „Es ist für mich zu leicht, für Klavier zu schreiben.“ Die strenge Stimmung etwa schränkt sie eher ein: „Ich liebe den Klangreichtum zwischen den Tasten.“ Gerne setze sie jedoch gezupfte oder angeschlagene Klaviersaiten ein.
Dass sie nicht in ihrer russischen Heimat sondern "in einem Dorf nahe bei Hamburg" lebt, hat einen ganz einfachen Grund, verrät Sofia Gubaidulina: "Ich bin in einer Industriestadt geboren und aufgewachsen."