Bernard, Autriche
IM PORTRÄT / BERNHARD BRAUNSTEIN
09/02/18 Im Februar 2009 ist der Salzburger Filmemacher Bernhard Braunstein nach Paris gezogen. „Das Sprachengewirr und das multikulturelle Mosaik der Metropole versetzten mich in Staunen. Je genauer ich beobachtete, desto aufregender wurde die Stadt, zugleich aber auch ungreifbarer, komplexer, überladen mit Bildern und Geschichten“, erinnert er sich.
Heute Freitag (9.2.) ist Bernhard Braunstein zu Gast im Salzburger Filmkulturzentrum „Das Kino“. Auf der Leinwand: sein erster in Eigenregie produzierter abendfüllender Dokumentarfilm, „Atelier de Conversation“. Aus gutem Grund wurde er mitdem mit dem ARTE-Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet.
Nach Paris also, „um Französisch lernen und ein anderes Leben ausprobieren“. Der Euphorie sei Ernüchterung gefolgt, so der 1979 geborene Salzburger. „Ich sprach zwar kein Wort Französisch, war aber überzeugt, mich nach einigen Monaten vor Ort und einem Intensivsprachkurs bald verständigen zu können. Schon nach wenigen Wochen wurde mir bewusst, wie naiv diese Vorstellung gewesen war. Auch nach einem halben Jahr war ich in dieser Stadt immer noch sprachlos und einsam.“
So kam Bernhard Braunstein ins Centre Pompidou, in die Bibliothèque publique d’information, für den jungen Mann „eine Schnittstelle für die verschiedenen Lebenswelten in Paris“. Dort kann man einfach so hingehen. „Die Energie an diesem Ort, an dem täglich über 4.000 Menschen aus aller Welt denken, lesen, lernen, plaudern, Musik hören, fernsehen, im Internet surfen, schlafen oder sich einfach nur aufwärmen, war ansteckend und motivierend“, erinnert sich Braunstein. „Eines Nachmittags las ich eine Informationstafel, die ins Atelier gratuit de conversation zur offenen Konversationsgruppe einlud, jeweils Freitag um 18 Uhr. Es war Freitag Nachmittag, ich blieb bis zum Abend in der Bibliothek und schrieb mich eine viertel Stunde vor Beginn auf eine Liste: Bernard, Autriche. Kurze Zeit später befand ich mich im Atelier gratuit de conversation in einem Sesselkreis als eine von etwa 16 Personen. Staunend betrachtete ich die fremden Gesichter. Eine kurze Vorstellungsrunde begann. Jede/r der TeilnehmerInnen kam aus einem anderen Land, bis auf Australien waren alle Kontinente vertreten.“
Zwei Jahre lang hat Bernhard Braunstein diesen Sprachkurs, einen echten Melting pot, besucht, das zweite Mal schon mit der Idee, einen Film zu machen. „Alle Menschen in diesem Film haben eine sehr tiefgreifende und intensive Erfahrung gemacht“, weiß Braunstein. „Sie haben erlebt, wie deprimierend Sprachlosigkeit sein kann und wie groß das Bedürfnis ist, zu kommunizieren.“ Sie fänden sich im Atelier de conversation „Verbündete, können sich austauschen und erleben starke Glücksmomente, intensive menschliche Begegnungen.“
Es habe ihn glücklich gemacht, „das friedliche Aneinanderprallen der verschiedenen Welten, das Nebeneinander der Gegensätze“ zu beobachten, und er sei verzaubert worden „von der Schönheit der unterschiedlichen Menschen“, resümiert Bernhard Braunstein. „Mich faszinieren die kleinen Gesten, die vielschichtigen Gesichter, die Geschichten hinter den Gesichtern und wie die Menschen untereinander und miteinander agieren, wie sie zuhören und sprechen, wie sie verstanden und missverstanden werden, wie sie zusammenfinden – und wie sie lächeln.“
Erst nach und nach habe er erkannt, was für hochaktuelle gesellschaftspolitischen Bezüge diese Menschen mitbrächten. „Hier sind Studenten, Ärzte und Rechtsanwälte, Menschen, die nur für einen bestimmten Zeitraum gekommen sind und nicht um ihre Existenz bangen müssen. Der Alltag anderer ist von einem brutalen und anstrengenden Überlebenskampf geprägt. Ins Atelier kommen Menschen, die auf der Straße leben, die keine Dokumente besitzen, abhängig sind von Asylbeamten, Hilfsorganisationen und von Arbeitgebern, die sie häufig ausbeuten. Gestrandete, die aufgrund religiöser oder politischer Konflikte nicht zurück können, aber auch nicht hier sein dürfen.“
Fürall diese Menschen habe das Atelier eine „Bedeutung, die ich selbst nicht kannte. Hier sind sie willkommen, hier werden alle gleich, wie Menschen, behandelt.“ Das Atelier hat Braunstein als einen Ort der Hoffnung kennen gelernt, als „eine Unterbrechung des täglichen Überlebenskampfes“. (Polyfilm/dpk-krie)