Was sich reimt ist gut – und das ist das Problem
GASTKOMMENTAR
Von Karl Zechenter
10/04/12 Gerade habe ich einen schönen Artikel gelesen, in dem Johannes Grenzfurthner den Kunstskandal für tot erklärt – und schon gibt es ihn. Totgesagte leben offensichtlich länger. Das gilt auch für alle zum Grass-Gedicht eintreffenden Argumente und Gegenargumente.
Günter Grass hat also einen Meinungskommentar als Gedicht verfasst. Das ist praktisch, denn in einem Gedicht übernimmt die Poesie die Argumentation und obendrein bietet es den erhöhten Schutz mannigfacher Interpretierbarkeit im Rahmen des Kunstkontextes. Und die Meinung selbst? Da geht es um den Weltfrieden, und der ist in Gefahr. Und zwar weil die Atomwaffen von Israel und Iran nicht kontrolliert werden und Deutschland an Israel noch U-Boote liefert, die Atomwaffen abschießen können. In einer Abwägung zwischen der Gefahr des „Antisemitismus“ und dem Weltfrieden, siegt der Weltfrieden, das müssen die Juden schon verstehen, da kann man nicht parteiisch sein. Hehres Ziel, schwarze Rede vom nahenden Untergang, die Rättin lauert auf globalem Niveau hinter der nächsten Ecke. Wer nunmehr an dem Gedicht herummäkelt, macht sich damit auch ein bisschen verdächtig, das große Ganze nicht zu sehen und den Weltfrieden zu gefährden. Und ja jetzt ist es raus, auf der Titelseite der Süddeutschen, da geht es um das Große Ganze und zwar auch noch in der Form eines Kunstwerks, zweifellos eine faustische Tat.
Genau hier lauert die Falle, eben beim Großen Ganzen. Die Titelseite schreit nach der Pranke. In der einen Ecke der geniale Schriftsteller, der durch die Gabe der Worte die Grauschleier der Information durchblicken kann. Auf der anderen Seite die Welt, die Grundfrage, das globale Problem, das mit einem gezielten Gedicht zu Boden geschickt werden soll. Darf es ein bisserl weniger sein?
Was Günter Grass zur Verfügung hat, ist ein Gefühl der Angst und Bedrohung. Was er nicht zur Verfügung hat ist Information, die die Komplexität der Lage im Nahen Osten erläutert. Und damit ist er gar nicht allein. Die medialen Topoi sind uns gut bekannt: Die Palästinenser sind unterdrückt, aber gewalttätig, aber unterdrückt, aber die Israelis sind historische Opfer, aber ein demokratischer Staat am Rande des Militarismus, aber auf den Platz angewiesen, aber auf nicht soviel, aber die Palästinenser sind gewalttätig – und das geht dann immer so weiter. In diese Kette kann man nach Belieben weitere Player einfügen, Iran, Islamisten, Türkei, wen immer. Generell dient Journalismus ja nicht der Aufklärung, sondern der Einordnung der bedrohlichen Wirrnis an Geschehnissen in vertraute Muster, in der sich der gestiegene Benzinpreis, Atommüll und ein drohender Weltkrieg ein nur um Nuancen zu unterscheidendes Unbehagen teilen. Mit diesem Unbehagen konnte und wollte Grass offensichtlich nicht weiter leben und ich unterstelle ihm, dass er genuin und ehrlich besorgt ist und der Schritt, ein Gedicht zu verfassen, für ihn gar kein einfacher war, weil man ab einem gewissen Alter sein Gesicht vielleicht auch nicht mehr dauernd durch Talk Shows schleppen muss. Andererseits: Oliver Pocher hätte auch kein Gedicht geschrieben.
Aus diesem Unbehagen heraus hat Günter Grass so reagiert, wie man eben in der Zeit der Feuilletons reagiert hat. Man verfasst auf schön unangreifbare Weise ein Meinungskunstwerk. Und was passiert dann? Nun sollten die Großen ihrer Zunft in ihren großen Zeitungen zusammenkommen und die Sache auf hohem weltgeschichtlichen Niveau diskutieren. Herr Schirrmacher, Herr Aust, Herr Karasek und das ganze Quartett antreten! Vielleicht kommen auch Fritz Raddatz und Karl-Heinz Bohrer, Botho Strauß nimmt die Nibelungen in Schutz und Udo Lindenberg und Wolf Biermann sind empört, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Das Blätterrascheln auf den Kulturseiten ist enorm, und beruhigt sich enorm schnell.
So hätte man mit Grass umzugehen. Aber es passiert nicht mehr. Jetzt muss das alles der Stuckrad-Barre machen und noch dazu als Twittermeldung. Oder Ulf Poschardt schaut zwischendurch in einer Talk-Show vorbei. Und die sind schon spät dran, weil schon 10793 Poster vorher alles an Meinung verbreitet haben, was es zu sagen gibt. Schon ist das Große Ganze zerfleddert, ausgeronnen, aufgelöst. Das Feuilleton ist weg und Facebook ist da (oder Diaspora oder Google Plus oder) und hat das Gedicht gleich mitaufgewischt.
Was sich reimt ist gut und das ist das Problem: Es ist weniger die Meinung, die man Günter Grass anlasten sollte, sondern die Sehnsucht nach dem Großen Ganzen, der einfachen salomonischen Lösung, der einzelnen Narration, die den Nahen Osten in Ordnung bringt. Diese Gegenwart kann man sich eben nicht zusammenreimen. Ganz im Gegenteil werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass die Probleme einfach kompliziert sind und es lange bleiben werden, sogar viel länger als wir als einzelne leben. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass wir vorsichtig und friedvoll aufeinander zugehen müssen und dass es Zeit dauern wird bis sich etwas klärt.
In den Sechziger hat das Hans Magnus Enzensberger in seinem Gedicht „Utopie“ erkannt, als er ironisch klagte wie gut alles ginge, „wenn nur die Leute nicht wären“. Und heute sind die Leute da und haben was zu sagen und viele Meinungen und Interessen. Leichter wird dadurch nichts, aber humaner letztlich schon. Und was gesagt werden muss, wird von ganz vielen gesagt und funktioniert dort am besten, wo man auf Sockel, Podest, Inszenierung verzichtet. Klar, soll man sich auch was trauen auf einer Titelseite, wenn man schon mal die Auslage hat - aber vielleicht was richtiges, nämlich sich mit der Tellerrandsicht, die man eben hat, in seiner ganzen Kleinheit hinzustellen und so angreifbar wie ehrlich eben nur seine Meinung zu sagen.